Frage an HR-Werkstatt: Worauf sollten wir bei der Entwicklung eines Leitbildes achten?
Es antwortet: Jörg Hesse, Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung triljen
Der vielleicht größte Fehler, den ein Unternehmen machen kann, ist, sich überhaupt keine Gedanken über seine Vision, Mission und seinen Purpose zu machen. Denn früher oder später holt die Frage nach den übergeordneten Zielen, dem höheren Sinn, dem tieferen Zweck uns ein. Bewerber fragen danach, aber auch Investoren und Stakeholder interessieren sich zunehmend für das große Ganze.
Die Zeiten, in denen Unternehmen sich ein Leitbild in erster Linie gegeben haben, um sich einen progressiven Anstrich zu geben, sind vorbei. Ein Unternehmensleitbild ist kein Wünsch-Dir-Was, sondern eine richtungsweisende Manifestation von Zielen und Werten mit unmittelbarer Wirkung auf die im Alltag gelebte Unternehmenskultur. Damit beeinflusst es auch unmittelbar die Leitplanken für die HR-Arbeit und das Employer Branding nach innen und außen.
Leitbild stiftet Sinn und Orientierung
Am Thema Sinngebung kommt kein Arbeitgeber vorbei. Beispielsweise indem er aufzeigt, warum und zu welchem Zweck das Unternehmen gegründet wurde und mit welchem Antrieb dahinter, welchen Beitrag es in der Branche und der Welt leisten will. Doch nur deshalb einen Unternehmenszweck zu definieren, weil es angesagt ist, und dann nicht danach zu handeln – also Purpose-Washing zu betreiben – schadet eher. Sinn, Zweck und Werte, die in der Arbeitgebermarke kommuniziert werden, müssen auf allen Ebenen handlungsbestimmend werden.
Ein guter Purpose beeinflusst Arbeitnehmer unabhängig vom Alter. Nicht nur die Generation Y und Z, sondern auch die Babyboomer-Generation stuft die Sinngebung ihres Tuns und den gesellschaftlichen Beitrag ihres Unternehmens als wichtig ein und thematisiert die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit immer stärker. Ein Purpose fördert also die emotionale Bindung zum Arbeitgeber ungemein.
Sträflich wäre es, die Suche nach dem Purpose auf die leichte Schulter zu nehmen und einfach einen Gedanken zu formulieren, der gut ins Hier und Jetzt passt. Der Anspruch an ein Leitbild sollte sein, dass es eine zeitlose Gültigkeit hat und die Brücke von der Heritage zur Zukunft des Unternehmens schlägt.
Transparent machen, was wirklich wichtig ist
Zentrales Element jedes Leitbildes ist es daher, den Purpose auf den Punkt zu bringen. Das Leitbild gibt die strategische Richtung vor, formuliert Mission und Vision. Daraus leitet sich eine Haltung ab, verbindlich für alle. Ein ernst genommenes Leitbild ist Orientierung und Leitschnur. Es taucht als Mantra, Gedankenstütze und Referenzpunkt an viele Stellen auf: Beispielsweise in der täglichen Führungsarbeit oder konkret in den Leitfäden für Mitarbeitergespräche. Konkrete Anwendungen des Leitbildes wie diese tragen dazu bei, Ziele zu objektivieren und sie in einen größeren Kontext zu stellen.
Das Leitbild hilft, transparent zu machen, was wirklich wichtig ist. Unverzichtbar in Tagen wie diesen, in denen Unternehmen lernen müssen, mit unplanbaren Rahmenbedingungen umzugehen.
Authentisches Außenbild mit Ecken und Kanten
Und auch im Recruiting kann ein Leitbild mit ausformulierten Haltungssätzen enorm dabei helfen, die richtige Tonalität zu finden und aussagekräftige Akzente zu setzen, um den „cultural fit“ herzustellen, der Grundlage für eine erfolgreiche Arbeitsbeziehung ist. So unterschiedlich die Leitbilder, so unterschiedlich die Kulturen. Einzig die Unternehmenskultur differenziert eine Arbeitgebermarke wahrhaftig von einer anderen – nicht der Obstkorb, nicht die Frauenquote und nicht die BAV.
Natürlich können sich Arbeitgeber mit bestimmten Benefits hervortun, aber das reicht nicht. Sie müssen sich darüber hinaus auch trauen, den Charakter ihres Unternehmens mit Ecken und Kanten in den Markt zu kommunizieren. So finden sie Arbeitnehmer, die zu ihnen passen. Menschen mit Potential wollen ein Gespür für das vorherrschende Mindset entwickeln, um ihre eigenen Entwicklungschancen in dem gebotenen Umfeld einordnen und ihre Erfolgsaussichten in einer neuen Umgebung einschätzen zu können.
Bei einem Leitbild darf es keine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit geben. Denn die liefert Skeptikern nur Reibungsfläche und zerstört auch bei Menschen, die noch relativ frisch am Start sind, sehr schnell das mühevoll im Rekrutierungsprozess aufgebaute Vertrauen. Unternehmen, die in ihrem Alltag nicht das Leistungsversprechen einhalten, das sie nach außen formulieren – sei es in Stellenanzeigen oder in Unternehmensnachrichten auf allen Kanälen – machen sich angreifbar.
Positiv formuliert schafft es viel Vertrauen, wenn das Leitbild für eine selbstkritische Bestandsaufnahme genutzt wird und die Menschen auf allen Ebenen in diesem Prozess auch mitgenommen werden und ihnen ein Forum für ihre Gedanken gegeben wird.
Leitbild als kraftvolle Basis evolutionärer Veränderung
Einerseits gibt auf Belegschaftsseite es den Wunsch nach Orientierung und Klarheit, andererseits aber auch das Bedürfnis, mitzugestalten – gerade, wenn mit dem geschärften Leitbild Veränderungen einhergehen. Und das ist fast immer der Fall, wenn man im Leitbildprozess konkrete Ziele ermittelt, Arbeitspakete entwickelt und verteilt, Verantwortlichkeiten neu klärt und Organisationsstrukturen auf den Prüfstand stellt.
Das Ergebnis eines Leitbildprozesses kann mitunter sehr grundlegend sein. Beispielsweise kann dabei herauskommen, dass die bisher gelebte hierarchische Organisationsform nicht geeignet ist, die formulierten Ziele zu erreichen und dass es agilere Formen der Zusammenarbeit braucht. Dazu ist erforderlich, die intrinsische Motivation von Menschen zu fördern und ihnen Raum zum Wachstum zu geben.
Jeder Leitbildprozess beinhaltet ein nach innen gerichtetes Leadership Branding, ein systematisches Arbeiten mit den Führungskräften, in dem ihre persönlichen Werte und Ziele mit denen des Unternehmens abgeglichen werden. All das ist wichtige Voraussetzung für Recruiting und Employer Branding. Eine Brand mit ihren Werten muss kommuniziert und vor allem gelebt werden – nicht nur weil wir wissen, dass die stärksten Markenbotschafter die eigenen Beschäftigten sind.
Info
Zehn Tipps für ein gutes Leitbild
- Schaffen Sie Orientierung
- Nehmen Sie die Menschen mit
- Walk the talk
- Schaffen Sie Vertrauen
- Nutzen Sie das Leitbild für eine Bestandsaufnahme
- Gehen Sie dem Sinn und Zweck des Unterenehmens auf den Grund
- Formulieren Sie Zukunftsziele, Werte und Ihre Positionierung
- Konkretisieren Sie die Ziele für einzelne Funktionsbereiche und Personen
- Operationalisieren Sie das Leitbild
- Passen Sie die Organisationsstruktur an
Autor
Jörg Hesse ist Gründer und Geschäftsführer von triljen. Die leitbildzentrierte Unternehmensberatung begleitet Familienunternehmen in Veränderungsprozessen. Das Team von triljen entwickelt gemeinsam mit Kunden Transformationsstrategien und Unternehmensleitbilder im Einklang von Kultur, Organisation und Marke und den Schnittmengen dieser Aspekte. In intensiven Workshops, mit klarer Strategie und begleitender Beratung, in systemischen Coachings und methodischen Trainings von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Teams und Führungskräften.
Kontakt: j.hesse@triljen.com, www.triljen.com