Früher begaben sich TÜV Süd-Sachverständige für Aufzüge mit einem Koffer an schweren Gewichten in den Aufzug, um dessen Belastungsvermögen sicherzustellen. Heute wird die Last, die der Lift zu tragen fähig sein soll, technisch simuliert. Dementsprechend benötigen Sachverständige nun andere Kompetenzen als zuvor – und TÜV Süd Menschen, die diese Kenntnisse mitbringen. Für den Lift-Experten Weiterbildungsmöglichkeiten zu organisieren oder die strategische Vorarbeit zu leisten, damit operative Personalerinnen und Personaler neue Kolleginnen für ihn finden können, ist unter anderem Aufgabe von Tina Hempel, Leitung Kompetenzcenter Personal für Deutschland bei der TÜV Süd AG.
Sie hat gemeinsam mit ihrem 16-köpfigen Team ein neues System zur strategischen Personalplanung eingeführt, das sicherstellt, dass die richtigen Personen mit dem nötigen Knowhow im Unternehmen zur Verfügung stehen, um die Unternehmensstrategie auch zukünftig umsetzen zu können. Dafür wurden die Prozesse ganzheitlich neu aufgesetzt: Angefangen von der Bedarfsplanung über die Kompetenzanalyse bis hin zur Weiterbildung der im Unternehmen bestehenden Mitarbeitenden und einer ergänzenden Rekrutierung.
Beim über 155 Jahre alten Unternehmen für technische Sicherheit werden alle Mitarbeitenden regelmäßig weitergebildet. Durch den Wandel der Arbeit aufgrund von Megatrends wie Digitalisierung wurde die Entwicklung der Mitarbeitenden aber nochmal speziell unter die Lupe genommen. Dabei wurde festgestellt: Rund 30 Prozent der Mitarbeitenden müssen im Hinblick auf die sich ändernden Kompetenzen und Anforderungen besonders fortgebildet werden. Das kann nicht nur für die Mitarbeitenden eine Herausforderung sein, sondern auch für HR einen Kraftakt darstellen.
Einen Überblick verschaffen
Doch wie geht man die Weiterbildungsmaßnahmen am besten an? Bei TÜV Süd sind Hempel und ihr Team zunächst in Gespräche mit den Fachabteilungen gegangen und haben sich die Unternehmensstrategie und Entwicklungen in der jeweiligen Branche detailliert erklären lassen. „Diese Business-Strategie haben wir dann in Kompetenzbedarfe übersetzt und gleichzeitig geschaut, welche Schlüsselpositionen es gibt und wie diese besetzt sein müssen, um die Unternehmensziele zu erreichen“, sagt Hempel. In anderen Worten: Es wurden die Fragen beantwortet „Was wollen wir in der Zukunft erreichen?“ und „Wen brauchen wir dafür?“. In den bisher im Projekt bearbeiteten Bereichen sind rund 7.000 Mitarbeitende tätig, dabei wurden bislang 34 Schlüsselpositionen identifiziert. Für die gesamte Belegschaft zeichne sich derzeit ab, dass 20 bis 30 Prozent aller Beschäftigten auf einer Schlüsselposition arbeiten.
Zukunftskompetenzen ermitteln
„Im zweiten Schritt haben wir analysiert, wie sich der Arbeitsbeschaffungsmarkt für diese Stellenprofile bis 2026 wahrscheinlich entwickeln wird.“ Für jede der Schlüsselpositionen hält das HR-Team gemeinsam mit den Führungskräften der entsprechenden Abteilungen, aber auch mit externen Experten aus der Wissenschaft, Kompetenzen fest, die für die entsprechende Tätigkeit zukünftig nötig sein werden. Generell gelte: Digitales Know-how, Projektmanagement-Fähigkeiten sowie Business Development und Zusammenarbeitskompetenzen werden wichtiger.
Der dritte Schritt: Mit den Kompetenzlisten im Gepäck erstellen die Führungskräfte ein individuelles Profil für relevante Mitarbeitende. In diesem wird festgehalten, welche Fähigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin heute bereits hat und welche er oder sie noch entwickeln muss. Dies müsse für jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin individuell erstellt werden, da jeder und jede durch private Interessen oder berufliche Hintergründe andere Erfahrungen und Kenntnisse mitbringe.
Eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Führungskräfte wurden daher zuerst selbst mit Blick auf eine sich ändernde Führung in der VUCA Welt trainiert. „Sie wurden bei einer dreitägigen Schulung noch einmal mehr mit ihrer Rolle als Coach vertraut gemacht“, sagt Hempel. „Dabei haben sie auch gelernt, worauf sie achten müssen, um Mitarbeitende bei den Weiterentwicklungsmaßnahmen mitzunehmen.“ Nämlich eine transparente Kommunikation und ein enger Austausch mit dem Individuum.
Höchst individuell
Denn die Weiterbildungen sind auf die Person abgestimmt. Mal lerne ein Mitarbeiter durch eine cross-divisionale Zusammenarbeit benötigte Kompetenzen, mal erfahre eine Mitarbeiterin mittels eines In-House-Mentoringprogramms nun für ihren Job relevante Informationen. Einige Beschäftigte würden zudem durch Kurse an der eigenen TÜV Süd-Akademie weiterqualifiziert. Wenn damit nicht alle Weiterbildungsbedarfe abgedeckt sind, will das HR-Team auf externe Anbieter oder auch digitale Schulungsmöglichkeiten zurückgreifen – die Anforderungen an das finale Weiterbildungsportfolio werden gerade zusammengestellt. „Jemanden zu finden, der die Heterogenität in unserem Unternehmen und die damit verbundenen Themen im Portfolio hat, ist schwer“, sagt Hempel.
Zudem müsse die individuelle Weiterbildung stetig geschehen und die Profile inklusive Kompetenzbedarf regelmäßig geupdatet werden. „Bisher geschieht dies einmal jährlich im Rahmen der Strategieabstimmung“, sagt Hempel. Ob dies oft genug sei, bezweifelt die Leiterin des Kompetenz-Centers. „Den Turnus hier zu erhöhen und die Profile einmal im Quartal zu erstellen, wäre sinnvoll.“ Denn die Digitalisierung beschleunige sich immer mehr. „Deshalb müssen auch wir als HR flexibler und schnelllebiger werden.“
Zeit muss investiert werden
Dazu gehöre es auch, Dinge zunächst in einer Pilotphase zu testen, wie es bei dem Konzept der strategischen Personalplanung und Weiterentwicklung bei TÜV Süd der Fall gewesen sei – und zweigleisig zu fahren. Denn neben der Fortbildung der bestehenden Belegschaft müsse auch der trotz aller internen Bemühungen fortbestehende Rekrutierungsbedarf im Blick behalten werden. „Wir arbeiten an neuen Imagekampagnen und Landingpages und versuchen mittels Active Sourcing genau die Menschen zu finden, die wir nach unserer Kompetenzanalyse brauchen“, sagt Hempel.
Um den TÜV Süd für die Zukunft fit zu machen, seien nicht nur ein Überblick und Flexibilität nötig, sondern vor allem auch ein längerer Atem als ursprünglich gedacht. „Wir hatten anfänglich den zeitlichen Aufwand unterschätzt und nicht damit gerechnet, pro Business-Unit sechs Monate zu brauchen, um die Kompetenzen zu analysieren, die Profile zu erstellen und entsprechende Weiterbildungsmethoden in die Wege zu leiten“, sagt Tina Hempel.
Sie arbeitet gemeinsam mit den globalen HR Kollegen seit rund zwei Jahren an der strategischen Personalplanung des TÜV Süd. In vier Business-Units wurden alle Schritte bereits durchlaufen, in vier weiteren läuft der Prozess gerade. Acht Units stehen noch aus. Hempel ist optimistisch, dass es zügig weiter geht: „Für die Weiterführung des Projekts zeigt sich, das etappenweise Vorgehen als großer Vorteil: Die Zusammenarbeit läuft immer reibungsloser und schneller, weil wir mehr Erfahrung haben und viele Kollegen schon von den neuen Prozessen und deren Nutzen gehört haben.“
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.