Recruiting-KPIs sind in der HR-Welt angekommen. Doch das war nicht immer so. Ute Neher, Head of Global Talent Aquisition der Telekom, erzählt im Interview von den Anfängen der Kennzahlen-Nutzung in den Recruiting-Abteilungen ihres Unternehmens. Auch für die Zukunft der datenbasierten Arbeit hat sie Visionen.
Personalwirtschaft: Sie gelten als eine der Personalerinnen, die als erstes systematisch mit Recruiting-KPIs gearbeitet haben. Wie kam es dazu?
Ute Neher: Bei mir hat es mit dem Wunsch begonnen, herauszufinden, ob wir an den richtigen Stellen in die richtigen Dinge investiert haben. Damals habe ich im Marketing gearbeitet, wo man schon länger mit personenbezogenen Daten gearbeitet hat, um herauszufinden, wer die eigene Zielgruppe ist und wo sich diese befindet. 2010 wollte ich wissen, wie viele Bewerbungen wir mit zwei konkreten damals neuen Produkten von uns generieren: unserem Jugendmagazin und unserer Kampagne namens „Wissen verändert alles“. Wir hatten viel investiert und wollten herausfinden, ob dieses Investment angemessen war. Das waren die Anfänge meiner Datenverliebtheit.
Das heißt, es bliebt nicht bei der Analyse der beiden Projekte?
Nein. Als ich kurz darauf ins Recruiting Marketing gewechselt bin, wollte ich herausfinden, wie und über welchen Kanal ich für sehr nischige Profile Mitarbeitende finde. Die Channel-Effectiveness wurde mein Fokus. Sobald wir diese gemessen hatten, konnten wir gestärkter auf Vertreter von Stellenanzeigenportalen zugehen. Vor allem ermöglichte es uns aber zielgerichteter Kampagnen zu planen und unsere Zielgruppe zu erreichen und somit Streuverluste zu verringern.
Was hatte sich verändert?
Vorher waren es die Portale, die zu uns mit Zahlen kamen, daran geknüpfte Angebote und Versprechungen gemacht und auf dieser Basis den Preis gesetzt hatten. Nun aber konnten wir mittels der KPIs herausfinden, wie viele Menschen sie uns wirklich liefern, wie groß die Passung dieser Menschen zu unserem Unternehmen ist, wie groß die Drop-out-Rate ist und wie viele von den über die Stellenportale zu uns gekommenen Menschen wir tatsächlich einstellen. Auch hier war wieder die Frage entscheidend: Wie setze ich mein Budget bestmöglich ein. Dann haben wir es uns 2018 zur Aufgabe gemacht, die Time-to-Hire drastisch zu reduzieren.
Wie sind Sie an diese Aufgabe herangegangen?
Wir haben transparent jeden einzelnen Prozess-Schritt gemessen. Am wichtigsten war für mich hierbei alle am Recruiting-Prozess Beteiligten mitzunehmen, wir sind die Zahlen gemeinsam einmal pro Woche durchgegangen. Damit wollten wir auch das Bewusstsein für Daten fördern und ein Stück weit die Angst nehmen, sich mit der Datenanalyse gläsern und angreifbar zu machen. Denn für mich liegt im Sammeln und Analysieren von Daten die wahre Stärke im Recruiting. Mit den Daten können wir aufzeigen, wo wir Unterstützung brauchen, wo wir Probleme haben und wo wir uns selbst verändern müssen.
Wie kam diese neue Transparenz der Prozesse im Unternehmen und bei den Partnern sowie Dienstleistern an?
Die meisten von ihnen haben sich gefreut, dass wir das endlich machen. Auch, wenn es Vorbehalte gab. Es wurde angezweifelt, ob die Daten richtig sind. Wir mussten zunächst ein Vertrauen in die Daten schaffen. Denn gerade die menschelnden Themen der HR-Welt wurden viel zu oft „weich“ diskutiert und zu sehr als ungreifbare Wolke angesehen. Einige haben deshalb nicht daran geglaubt, dass sich diese Themen wirklich messen lassen. Mit einem Dashboard, das jeder abrufen kann – auch der Hiring Manager, Business Partner und die Dienstleister, haben wir gezeigt, dass es doch geht. Wichtig war es hierbei, mit unseren Dienstleistern gemeinsam die Daten zu analysieren, die Daten transparent zu kommunizieren und somit die Performance gemeinsam zu steigern.
Wir sind keine Service-, sondern eine strategische Einheit, sind Partner, nicht Untergeordneter.
Hing hier auch viel vom Selbstverständnis von Recruiting-Verantwortlichen ab?
Ja, wir sind keine Service-, sondern eine strategische Einheit, sind Partner, nicht Untergeordneter. Es ist ein Strategiethema, die richtigen Menschen zu haben. Wir haben damals auch angefangen, mit den KPIs den Führungskräften zu zeigen, wo sie im Recruiting-Prozess stehen.
Wie haben Sie das gemacht?
Indem wir das Konsequenzmanagement eingeführt haben. Von dem Zeitpunkt an galt: Wenn bei uns eine Führungskraft nach zwei Tagen kein Feedback zu einer Shortlist oder ein Briefing zu seiner neuen Stelle gibt, dann bekommt er oder sie einen Hinweis und muss innerhalb der nächsten zwei Tage liefern. Wenn nicht, schließen wir die Stelle und schreiben sie nicht aus. Natürlich gab es Beschwerden und Eskalationen, aber unser Vorstand hat das mitgetragen.
War die Nutzung von KPIs damals ein Alleinstellungsmerkmal der Telekom oder hatten andere Unternehmen auch damit begonnen?
Es gab in vielen Unternehmen kleine Pflänzchen. Man fing damals an, bewusst darüber zu sprechen. Genutzt hat zu jener Zeit aber kaum jemand die Datenmengen, die zur Verfügung standen. Wahrscheinlich auch, weil man sich für die Datenanalyse bewusst Zeit nehmen muss und das Thema Datenschutz einige abgeschreckte. Zudem fehlte und fehlt bis heute teilweise die Daten-Kompetenz in Recruiting-Abteilungen.
Wie hat sich die Wichtigkeit der einzelnen KPIs verändert?
Alles begann mit der Messung der Kundezufriedenheit. Dann waren die KPIs Channel Effectiveness, Time-to-Hire, Time-to-Shortlist und Time-to-Interview wichtig.
Und heute?
Derzeit ist die Drop-Out-Rate in den verschiedenen Prozessschritten im Kommen, weil es immer mehr Touch-Points im Bewerbungsprozess gibt, die zur Schwierigkeit werden können. Dann kreieren wir immer mehr Sub-KPIs, also sehr spezifische KPIs. So gibt es beispielsweise viele KPIs speziell für das Active Sourcing. Auch die Arbeit mit internationalen Marktdaten nimmt zu. Wir erstellen uns dadurch für ein bestimmtes Skill-Cluster einen Überblick der Verfügbarkeit von Talenten und formulieren auf dieser Basis die KPI Forecast-Time-to-Hire.
Momentan stehen die Daten noch für sich.
Wie werden KPIs zukünftig genutzt werden?
Meine Vision für die Zukunft ist es, einen Datenhub zu haben, in dem unsere derzeitigen Einzeldaten miteinander verknüpft werden. Denn momentan stehen die Daten noch für sich. Wir haben uns mit Abenteuerlust Schritt für Schritt durchs Dickicht der vielen Daten geschlagen und wissen jetzt, was man alles machen kann. Jetzt geht es darum, welche von den Möglichkeiten man wirklich nutzen möchte und wie man die einzelnen Kennzahlen über Recruiting hinaus miteinander verknüpft.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.