Frage an die HR-Werkstatt: Wie können Silver Ager als Fachkräfte gewonnen und gehalten werden?
Es antwortet: Tarek El-Dabbagh, CHRO Infoniqa Group
Weltweit wird die Bevölkerung immer älter. In Deutschland leben schon jetzt so wenig junge Menschen wie nie. Schätzungen des Statistischen Bundesamts zufolge werden bis 2030 in Europa mehr als die Hälfte der Menschen über 50 Jahre alt sein. Deutschland nimmt dabei einen der Spitzenplätze in der Liste der überalternden Länder ein. Gleichzeitig verringert sich die Zahl der qualifizierten Mitarbeitenden und verstärkt den Fachkräftemangel. So werden laut einer Studie des Wirtschaftsforschers Prognos für die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft bis zum Jahr 2025 2,9 Millionen Fachkräfte am deutschen Arbeitsmarkt fehlen.
Was erfahrene Mitarbeitende bieten
Um diesen Mangel auszugleichen, können Unternehmen auch auf Silver Ager zurückgreifen – Menschen, die älter als 50 Jahre sind und als Fachkräfte Arbeitgeber unterstützen. Ihr Potenzial wird derzeit noch unterschätzt. Dabei können sie hervorragende Mitarbeitende sein. Silver Ager haben in ihren 20-40 Arbeitsjahren einen enormen Erfahrungsschatz gesammelt, besitzen eine hohe Sozialkompetenz sowie umfangreiche Netzwerke und gehen an Fragestellungen und Problemlösungen mit einem anderen Verantwortungsbewusstsein heran, als es die junge Generation oftmals tut. Dadurch sind sie die perfekten Berater und Beraterinnen. Darüber hinaus haben sie in der Regel eine starke Bindung an den Arbeitgeber, wenn sie komfortable Arbeitsbedingungen und einen strukturierten Tagesablauf vorfinden. Durch die steigende Lebenserwartung und die damit verbundene länger anhaltende Fitness können sie einen aktiven Lebensstil bis ins hohe Alter führen. Die Bezeichnung „Best Ager“ ist damit noch nie so zutreffend gewesen wie heute.
So gelingt das Recruiting für die Generation 50plus
Das in ihnen wohnende Potenzial möchten viele der Über-50-Jährigen einem Arbeitgeber auch über das Durchschnittsrentenalter hinaus zur Verfügung stellen. Diesen Trend sollten Arbeitgeber für sich nutzen und ältere Fachkräfte gezielt rekrutieren. Das funktioniert nur mit einem zielgruppengerechten Personalmarketing. Denn mit Aktivitäten auf Hochschulmessen oder mit TikTok-Videos holen sie diese Zielgruppe nicht ins Boot.
Vielmehr kann HR folgendes tun, um die Generation 50Plus aktiv anzusprechen:
- Personalerinnen und Personaler sollten die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe analysieren: So müssen die Unternehmen bereits während des Recruiting-Prozesses Verständnis für gesundheitliche Einschränkungen aufbringen, eine individuelle Leistungsbewertung vornehmen und für persönliche Kommunikation und Wertschätzung sorgen.
- Für HR gilt es auch, die eigenen Anforderungen an Fachkräfte neu zu definieren und dabei die Bedürfnisse der Generation 50plus in ihrer Employer-Branding-Strategie zu berücksichtigen.
- Zudem sollten Benefits entwickelt werden, die den Anforderungen der Best Ager entsprechen. Dazu gehören beispielsweise gesundheitsfördernde Maßnahmen, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, altersgerechte Weiterbildungsmöglichkeiten in Einzelcoachings, flexible Arbeitsmodelle von Teilzeit bis Jobsharing, Lebensarbeitszeit- sowie Überstundenkonten und Sabbatical- oder Pflegezeit-Angebote.
- Grundsätzlich ist es ratsam, proaktiv auf ältere Bewerbende zuzugehen, statt passiv auf formale Bewerbungen zu warten. Eine direkte Ansprache älterer Fachkräfte ist weitaus erfolgversprechender und spiegelt gleichzeitig die Wertschätzung der Berufserfahrung und der Arbeitsleistung der Generation 50plus wider.
- Personalerinnen und Personaler sollten auch klassische Karriereportale fürs Recruiting verwenden: Denn während Social Recruiting insbesondere auf jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzielt, empfiehlt sich für die Personalbeschaffung in der Altersgruppe 50plus die Veröffentlichung von Stellenausschreibungen in klassischen Jobbörsen und Zeitungen.
- Recruiter sollten unbedingt darauf achten, dass ihr Karriereportal „barrierefrei“ ist. Das heißt, Übersichtlichkeit durch eine klare Gliederung, der Kontrast von Schrift- und Hintergrundfarbe und größere Schriftgrößen sind erforderlich. Es sollte außerdem die Möglichkeit geben, statt eine E-Mail zu schreiben ein Telefonat zu führen.
- HR kann zudem seine Maßnahmen zur Personalauswahl hinterfragen. Sind Assessment Center, bei denen Smarties in einem Smart berechnet werden müssen, für hochqualifizierte ältere Bewerbende wirklich nötig? Oden schrecken Sie die Zielgruppe 50plus damit schlichtweg ab?
- Auch empfiehlt es sich, das Wording und die HR-Bildwelt der Zielgruppe anzupassen. So können Modelle aus der Zielgruppe 50Plus und nicht nur junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren auf den Karrierewebseiten und Employer-Branding-Produkten zu sehen sein.
Den Arbeitsplatz an die Bedürfnisse der Silver Ager anpassen
Beim Recruiting hören die Bemühungen um die Generation 50plus allerdings nicht auf. Denn sobald die älteren Talente für eine Stelle zugesagt haben, gilt es, sie für eine längere Dauer ans Unternehmen zu binden. Dabei spielt neben entsprechenden Weiterbildungsangeboten auch ein passgenauer Arbeitsplatz, an dem sich Silver Ager wohlfühlen, eine ganz entscheidende Rolle.
Arbeitgeber müssen gemeinsam mit dem Gesetzgeber auf die Bedürfnisse der älteren Zielgruppe eingehen und insbesondere flexible Beschäftigungsmodelle für Mitarbeitende in dieser Altersgruppe schaffen. Die Voraussetzung dafür ist eine lebensphasenorientierte Personalpolitik. Aber auch das Führen von Lebensarbeitskonten, zusätzliche Urlaubstage oder Sabbatical- und Pflegezeit-Angebote sind durchaus adäquate Bindemittel. Dabei kann ein Talent-Management-System entscheidend unterstützen. Es hilft, für jede und jeden das passende Arbeitsmodell zu finden – abgestimmt auf die Aufgaben, Ziele und körperliche Fitness. So besteht nicht die Gefahr, jemanden zu überfordern oder vor lauter Vorsicht zu unterfordern.
Darüber hinaus sollten Arbeitgeber ein betriebliches Gesundheitsmanagement einführen und auf die Ergonomie der Arbeitsplätze achten. Dabei besteht ein ergonomischer Arbeitsplatz nicht nur aus einem höhenverstellbaren Schreibtisch, Gesundheitsmaßnahmen und Prävention. Arbeitsergonomie bedeutet auch, generationsübergreifende Teams zusammenzustellen, die ganz unterschiedliche Erfahrungen besitzen und daher vielfältige Ideen entwickeln und sich so dabei helfen, geistig fit zu bleiben. Entscheidend bei altersdiversen Teams ist es, dass es nicht zu Abgrenzungen und Gruppenbildung kommt. Denn: Ohne Austausch keine Innovationsimpulse. Auch der Mitarbeiterzufriedenheit ist Gruppenbildung nicht zuträglich. Aus diesem Grund muss das interne Talent-Management diversitätssensibel ausgerichtet sein. Geistig fit bleiben die Silver Ager zudem durch Weiterbildungen, die den Interessen der betroffenen Personen entsprechen und ihnen dabei helfen weiterhin ein wertvoller Teil des Unternehmens zu sein.
Zu einem guten Gesundheitsmanagement gehört es außerdem, eine ausgewogene Work-Life-Balance der Mitarbeitenden zu fördern. Das kann durch Sport- und Ernährungsangebote oder Entspannungskurse, die speziell auf die Bedürfnisse aller Mitarbeitenden ausgerichtet sind, geschehen.
Vorbilder integrieren Silver Ager bereits in ihre unternehmerischen Tätigkeiten
Einige Unternehmen in Deutschland haben diese Dinge bereits implementiert und können als Vorbilder genommen werden. So etwa die Deutsche Bahn. Dort werden in den nächsten Jahren sehr viele Mitarbeitende in den Ruhestand gehen. Um diese Lücke zu füllen, hat das Unternehmen ihren Kriterienkatalog erweitert. Neben Ex-Soldaten und Studienabbrechern richtet die Deutsche Bahn ihr Recruiting speziell auf die Generation 50plus aus. Sie soll zu Lokführerinnen, Gleisbauern und IT-Spezialistinnen ausgebildet werden. Dabei steht ein langfristiges Generationsmanagement im Vordergrund.
Auch Otto setzt auf Diversity. Dazu hat das deutsche Versandunternehmen mit #experienced ein eigenes Netzwerk für ältere Mitarbeitende gegründet. Zudem unterstützen altersgemischte Teams, E-Learning und Workshops für Führungskräfte dabei, altersbezogene Vorurteile abzubauen und eine erfolgreiche Mehrgenerationen-Arbeitswelt zu schaffen.
Autor
Tarek El-Dabbagh verantwortet als CHRO bei Infoniqa länderübergreifend alle Personalbelange. Seit 20 Jahren in der HR-Leitung aktiv, blickt El-Dabbagh auf Stationen im HR-Management bei Vivatis, als Partner bei Inventa, als Director Human Resource Management bei Silhouette International sowie als Director Human Resources bei der Pappas Gruppe.