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Wie passen Befristungen und Fachkräftemangel zusammen? 

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Der Anteil befristet begonnener sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse sinkt seit dem Jahr 2018 leicht und stetig – abgesehen von kurzen Unterbrechungen infolge der Coronakrise. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat die Daten zu befristeten Arbeitsverträgen in einer Studie analysiert. Den aktuellsten Daten zufolge, dem vierten Quartal 2023, wurde knapp jedes vierte Arbeitsverhältnis befristet geschlossen (37,8 Prozent). Ausbildungsverhältnisse sind in diesen Zahlen nicht berücksichtigt.  

Diese hohe Zahl überrascht, beklagen doch viele Unternehmen den Fachkräftemangel. Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI, stellt fest: „Nach wie vor sind viele Arbeitgeber der Meinung, Beschäftigte einfach mal unverbindlich ‚ausprobieren‘ zu können.“ Sie bemängelt, dass Unternehmen „einerseits über Arbeitskräftemangel und ,Brain Drain‘ klagen und andererseits nach wie vor fast vier von zehn Neuanstellungen nur befristet vornehmen.“ Insbesondere junge Menschen würden beim Einstieg in das Berufsleben so „problematische Phasen der Unsicherheit“ erleben, die ihren Blick auf die Arbeitswelt über längere Zeiträume prägen könnten.  

Vor allem junge Talente befristet eingestellt 

Überdurchschnittlich stark von Befristungen betroffen sind laut der Studie junge Beschäftigte: 48,4 Prozent der neu eingestellten Talente unter 25 Jahren erhalten nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Das ist fast jeder zweite. In der Altersgruppe zwischen 25 und 54 Jahren gilt dies nur für etwa jeden dritten Neueinsteiger (35,1 Prozent). Bei den Einstellungen von Personen zwischen 55 und 64 Jahren sinkt der Anteil knapp unter ein Drittel (32,3 Prozent), steigt allerdings bei Neueinstellungen im Rentenalter wieder stark an.  

Auch das überrascht, denn in ihrer Anfang September veröffentlichten Wachstumsinitiative plant die Bundesregierung, befristete Einstellungen im Alter zu erleichtern. „Ganz offensichtlich besteht aber kein Anlass, das Vorbeschäftigungsverbot bei befristeten Einstellungen im Rentenalter aufzuweichen“, sagt WSI-Forscher Eric Seils, einer der Studienautoren. Wenn die Betriebe die Erfahrung und die Fähigkeiten dieser Altersgruppe in ihren Dienst stellen wollten, dann sei es an ihnen, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. 

Hoher Abschluss schützt nicht vor Befristung 

Der Anteil befristeter Einstellungen variiert zudem stark nach dem Berufsfeld. Laut der Studie schlossen Hochschulen zum Wintersemester 2023/2024 fast alle (94,6 Prozent) neu begonnenen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverträge von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen nur mit einer Befristung ab. Auch Beschäftigte in den darstellenden Berufen erhielten überdurchschnittlich oft befristete Verträge (in mehr als neun von zehn Fällen).  

Äußerst niedrige und seit einigen Jahren fallende Anteile an befristeten Einstellungen finden sich dagegen im Hoch- und Tiefbau (12,7 Prozent). Dies ist eine Folge der mehrjährigen Arbeitskräfteknappheit auf dem Bau. Auch Arzt- und Praxishilfen werden nur noch selten befristet eingestellt (11,6 Prozent). 

Schaut man auf die Qualifikation, müssen sowohl Beschäftigte ohne Ausbildungsabschluss (50,2 Prozent) als auch Hochschulabsolventinnen und -absolventen (41,1 Prozent) bei einem neuen Job oft mit einem befristeten Vertrag Vorlieb nehmen. Deutlich niedriger ist der Anteil von Befristungen bei Einstellungen von Personen mit abgeschlossener beruflicher Ausbildung. Allerdings erhält auch bei ihnen noch jeder Vierte (27,6 Prozent) zunächst einen befristeten Vertrag. 

Befristung nach Staatsangehörigkeit 

Ausländerinnen und Ausländer sind zudem häufiger betroffen von Befristungen als deutsche Arbeitnehmer (43,6 Prozent versus 35,1 Prozent). Auffallend ist dabei der Unterschied in der Gruppe der Frauen: Während nur 35,4 Prozent der deutschen Frauen bei Neuanstellung einen befristeten Vertrag erhalten, sind es unter den ausländischen Frauen 49,3 Prozent. Ob dies eine Folge der möglicherweise niedrigen Qualifikation letzterer ist, geht aus den Daten nicht hervor. 

Mehr Befristungen in Ballungsgebieten  

Bei den Befristungen bestehen große regionale Unterschiede. Bundesweit den höchsten Anteil (62,5 Prozent) befristet begonnener Beschäftigungsverhältnisse weist Heidelberg auf. Hier ist die Universität mit ihrem Klinikum der größte Arbeitgeber. Auf Platz zwei folgt Köln mit 62,2 Prozent Befristungen. Für diese sind möglicherweise die großen Medienhäuser verantwortlich, die die Beschäftigungsstruktur prägen. Auf dem dritten Platz liegt Potsdam (59 Prozent). Dort dürfte die Filmindustrie maßgeblich für die vielen Befristungen verantwortlich sein. Auch Berlin gehört traditionell zu den Städten mit einem hohen Anteil befristeter Neuanstellungen (50,5 Prozent). Das könnte damit zusammenhängen, dass viele junge Talente in die Stadt ziehen und dort oftmals nur eine befristete Anstellung finden. 

Befristungen helfen beim Beschäftigungsaufbau 

Dass der Anteil befristeter Einstellungen langsam sinkt, hängt auch mit der wachsenden Lücke an Arbeitskräften und der daraus resultierenden Marktmacht der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zusammen. Allerdings spielen Befristungen beim Beschäftigungsaufbau eine große Rolle, und manche Unternehmen nutzen sie als „verlängerte Probezeit“.  

Dass Befristungen für Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer Vorteile haben können, bestätigten unlängst der Automobilhersteller Porsche sowie auch der Südwestrundfunk (SWR) gegenüber der Personalwirtschaft: So ermöglichten Befristungen laut Unternehmensangaben dem Automobilkonzern, schnell und frühzeitig auf verschiedene Situationen reagieren zu können, sei es für Vertretungen während der Elternzeit oder bei kurzfristigen Schwankungen in der Produktion. Laut dem SWR können befristete Positionen den Einstieg in eine dauerhafte Beschäftigung ermöglichen. Das Medienhaus stellt fest, dass junge Talente sie daher nicht nur als unsicher und unattraktiv wahrnähmen, sondern sie auch als Chance sähen, wertvolle Erfahrungen zu sammeln. 

Was muss HR bei Befristungen beachten? 

HR muss bei befristeten Verträgen ein paar rechtliche Vorgaben beachten. Für eine wirksame Befristung in Vertretungsfällen ist laut dem LAG Rheinland-Pfalz essenziell, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung der Vertretungskraft gibt. Das heißt, die Befristung ist nur wirksam, wenn der sachliche Grund für die Befristung bei Vertragsschluss vorliegt.  

Eine befristete Einstellung zur Vertretung kann auch wirksam sein, wenn die Vertretungskraft zwar nicht die vorherigen Aufgaben des Vertretenen übernimmt, aber Tätigkeiten ausführt, welche dieser hätte übernehmen können. Der Arbeitgeber kann sich auch darauf beschränken, mit der Einstellung einer Vertretungskraft nur Teile des Vertretungsbedarfs abzudecken. 

In jedem Fall muss die Befristung eines Arbeitsvertrags schriftlich festgehalten werden. Das heißt, aus der Befristungsvereinbarung muss klar ersichtlich sein, zu welchem Zeitpunkt die Tätigkeit endet. Das Schriftformerfordernis gilt dabei nicht für das Eintrittsdatum, wie das BAG in einem Urteil entschieden hat. Nach dem Urteil ist es für die Wirksamkeit der Befristung unbedeutend, wenn das im Vertrag genannte Eintrittsdatum mündlich geändert und nicht durch eine erneute Unterschrift bestätigt wurde.  

Eine Probezeit können Arbeitgeber auch bei befristeten Verträgen vereinbaren. Dafür gilt jedoch: Sie darf nicht pauschal sechs Monate betragen, sondern muss „im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen.“ Wann eine Probezeitvereinbarung „im Verhältnis“ zur Befristungsdauer steht, definiert der Gesetzgeber allerdings nicht. Klar scheint jedoch, dass sie nicht die gesamte Dauer der Befristung umfassen darf. In der Regel kann ein befristeter Arbeitsvertrag nicht vorzeitig gekündigt werden, es sei denn, dies ist ausdrücklich im Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag vereinbart. 

Was die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie an befristet Beschäftigte betrifft, gilt: Wenn Arbeitgeber sie auszahlen, müssen sie den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten, also grundsätzlich alle Mitarbeitenden berücksichtigen. Eine Unterscheidung zwischen bestimmten Beschäftigten oder Mitarbeitergruppen kann nur dann zulässig sein, wenn die Differenzierung einem legitimen Zweck dient, beziehungsweise wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt (wir berichteten). 

Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersvorsorge. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das Magazin "Comp & Ben". Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.