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Saisonarbeit: Wie der Mindestlohn unterlaufen wird

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Es ist wieder Spargelzeit: Mit dem Beginn der Saison sind in Deutschland Tausende von Erntehelferinnen und -helfern im Einsatz. Mehr als 100.000 Tonnen des „weißen Goldes“ wurden durch ihre Arbeit im vergangenen Jahr auf den Flächen der landwirtschaftlichen Großbetriebe, die das Gros des hierzulande verzehrten Spargels liefern, geerntet. Im laufenden Jahr dürften es angesichts der für den Spargel günstigen Witterung mindestens genauso viel werden. Über den Umsatz hüllen sich die Unternehmen in Schweigen, beklagt werden indes die hohen Produktionskosten.

Nach den Corona-Jahren, gestiegenen Energiekosten und Inflation trage auch der Mindestlohn seinen Teil dazu bei. So müssen die Bauern für die ausländischen Erntehelfer seit diesem Jahr 12,41 Euro Mindestlohn pro Stunde zahlen statt der zwölf Euro im Jahr 2023. „Am meisten trifft die Bauern der Mindestlohn“, zitiert das Redaktionsnetzwerk Deutschland den Sprecher des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd, Andreas Köhr. Die Lohnkosten machten rund die Hälfte der Produktionskosten aus, so Köhr.

Einen Mangel an Erntehelfer gibt es jedenfalls nicht, berichtet Rolf Meinhardt, Vorsitzender des Arbeitskreises Spargel Südhessen. Eben wegen des gestiegenen Mindestlohns, guter Unterkünfte und der im Vergleich zu anderen Ländern niedrigeren Lebenshaltungskosten würden Erntehelfer inzwischen Schlange stehen, um in Deutschland arbeiten zu können, sagt Meinhardt.

Mindestlohn mit Einschränkungen

Die „Initiative Faire Landarbeit“, die unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ins Leben gerufen wurde, sieht die Situation der Saisonarbeiter nicht ganz so rosig. Konkret bemängelt die Initiative in einem jetzt veröffentlichten Bericht „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“, für den Kontakte zu mehr als 3000 Saisonkräften ausgewertet wurden, dass es zahlreiche Ausnahmeregelungen gebe, die den Arbeitgebern ermögliche, den Mindestlohn zu unterschreiten. So könnten Arbeitgeber anfallende Kosten für Verpflegung und Unterkunft auf den Lohn anrechnen. „Unserer Erfahrung nach wird von dieser Ausnahmeregelung in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit in aller Regel auch Gebrauch gemacht“ kritisiert die Initiative in dem Bericht. Ihre Forderung: die Betriebe sollten die Unterkunftskosten übernehmen. Das sieht auch DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel so: „Wie am Bau müssten die Arbeitgeber die Kosten für Gruppenunterkünfte tragen.“ Der Deutsche Bauernverband lehnt eine solche Übernahme ab.

Gespart wird nach Einschätzung der Initiative auch bei den Sozialabgaben. Eine kurzfristige Beschäftigung ermögliche es dem Arbeitgeber, Saisonarbeiter weitgehend ohne Sozialversicherung einzustellen. Dieser oder diese ist dann lediglich über den Betrieb gesetzlich unfallversichert und mit starken Einschränkungen krankenversichert, jedoch nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Grundsätzlich gilt: Saisonbeschäftigte aus dem Ausland unterliegen nur dann dem deutschen Sozialversicherungsrecht, wenn sie weder in ihrem Heimatland noch in einem anderen EU-Mitgliedstaat sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Ob dies der Fall ist, wird in Deutschland anhand eines Fragebogens von der Deutschen Rentenversicherung überprüft. Nach einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren Mitte vergangenen Jahres rund 124.000 „ausländische abhängig Beschäftigte in der Landwirtschaft, im Gartenbau und Forst“ tätig, davon etwa 50.000 kurzfristig beschäftigt und deshalb meistens nicht sozialversichert.

Arbeitszeiten von bis zu zwölf Stunden

Ein dritter Bereich, in dem es rechtliche Ausnahmen gibt, die in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit in besonderer Weise genutzt werden, ist die Arbeitszeit. Zwar sieht das Arbeitszeitgesetz vor, dass die werktägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten darf. Ausnahmsweise darf allerdings auch bis zu zehn Stunden gearbeitet werden, wenn diese Überstunden in der Folgezeit ausgeglichen werden, sodass innerhalb von acht Monaten die durchschnittlichen acht Stunden am Tag nicht überschritten worden sind.

„Speziell für Saison- oder Kampagnenbetriebe ermöglicht das Gesetz jedoch nochmals längere Arbeitszeiten, wenn sie die Gesundheit der Beschäftigten nicht belasten und wenn diese Überstunden anschließend ausgeglichen werden“, bemängelt die „Initiative Faire Landarbeit“. In der Praxis bedeute das: Agrarbetriebe könnten sich bei den örtlichen Behörden Genehmigungen für tägliche Arbeitszeiten von bis zu zwölf Stunden einholen.

Gewerkschaften kritisieren die Situation seit Jahren

Die für Landwirtschaft zuständige IG Bauen Agrar Umwelt kritisiert gemeinsam mit den Schwestergewerkschaften aus Polen, Bulgarien und Rumänien die teils prekäre Situation der Saisonarbeiter seit Jahren. Für IG-BAU-Vize Harald Schaum ist es „inakzeptabel und nicht nachvollziehbar, dass wir in Deutschland auf die Arbeitskraft ihrer Landsleute setzen, aber kurzfristig Beschäftigten, die teilweise über Jahrzehnte auf unseren Feldern schuften, nicht nur den vollen Krankenversicherungsschutz verweigern, sondern auch Rentenansprüche“.

Der Deutsche Bauernverband als Sprachrohr der Spargel-Großbetriebe sieht die Lage der Saisonarbeiter naturgemäß deutlich positiver. Die von der „Initiative Faire Landarbeit“ angeprangerten Mindestlohnunterschreitungen und die teils massiven Arbeitszeitüberschreitungen seien natürlich nicht akzeptabel. „Solche Verstöße sind aber zum Glück nicht die Regel, sondern die Ausnahme“, hebt der Branchenverband in einer Pressemitteilung hervor. Ausländische Saisonarbeitskräfte seien unverzichtbare Helfer, die entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu beschäftigen und zu vergüten seien.

Gestiegene Kosten, stabile Preise

Der Bauernverband sieht trotz gestiegener Kosten übrigens keine allzu großen Preissprünge auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zukommen. „Wir gehen davon aus, dass die Spargelpreise ähnlich wie im vergangenen Jahr ausfallen werden mit einer Tendenz einer leichten Preissteigerung“, glaubt beispielsweise Rolf Meinhardt. Mit fortschreitender Saison werde der Preis je nach Witterung und Erntemenge dann abnehmen. „Ich denke, wir werden uns auf dem Preisniveau vom letzten Jahr einpendeln.“

Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.