Abseits von Führung, Talent Management, Personalentwicklung und ausgeklügelten Akquise- und Onboarding-Prozessen ist die zentrale Basis im fairen Umgang mit Mitarbeitenden die pünktliche Auszahlung der vereinbarten Entgelte. Das BAG-Urteil zur verpflichtenden Zeiterfassung unterstreicht diesen Sachverhalt. Dabei sind Zeiterfassung und Zeitwirtschaft viel mehr als das – insbesondere jetzt, wo sich die Anforderungen an die Arbeitswelt grundlegend transformieren.
Viel mehr als nur Zeiterfassung
Klar ist: Wer heute ein attraktiver Arbeitgeber sein will, muss sich für die heißbegehrten Fachkräfte aufhübschen und mehr bieten als der Wettbewerber. Die Erkenntnis, dass sich die Anforderungen vor allem der Berufseinsteiger grundlegend gewandelt haben, ist indessen nicht neu: Ihnen geht es nicht mehr um den Nine-to-five-Job mit anständigem Salär. Gearbeitet wird, spätestens seit der Pandemie, von Zuhause oder von dort, wo es Strom und einen Internetzugang gibt. Das hat letztlich den Gesetzgeber auf den Plan gerufen, denn eine der zentralen Herausforderungen in der modernisierten, digitalisierten Working World ist die Gefahr überbordender Arbeitsbelastung. Insbesondere im White-Collar-Bereich droht dies durch die Entgrenzung des arbeitszeitlichen Rahmens, der nicht zuletzt die Mitarbeitenden schützen und vor möglichen gesundheitlichen Schäden bewahren soll.
Laut Statistischem Bundesamt haben 2021 viereinhalb Millionen Beschäftigte Mehrarbeit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistet. 22 Prozent davon in Form unbezahlter Überstunden. Diesem Wildwuchs sollen die schärferen gesetzlichen Vorgaben Rechnung tragen.
Das BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung scheint insbesondere kleinere mittelständische Unternehmen zu aktivieren, Zeitwirtschaft im Kontext der gesamten HR-Digitalisierung einzuführen. Das ist zumindest die Erfahrung des auf KMU spezialisierten Anbieters HRworks. Frank Reinhardt, Head of Sales bei dem Dienstleister, sagt dazu: „Kleinere Unternehmen, die oft noch kein digitales Personalmanagement haben, suchen aktuell eindeutig häufiger und gezielt nach Lösungen zur Zeiterfassung.“ Seiner Ansicht nach ist die Zeiterfassung für solche Unternehmen häufig der Einstieg in die Digitalisierung des gesamten Personalmanagements.
Zeit und das Wohlgefühl am Arbeitsplatz
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die sogenannte User Experience (UX). Dieser Begriff zog erst vor einigen Jahren in die Softwareschmieden und auch in HR ein. Gemeint ist damit ein Wohlgefühl der Mitarbeitenden bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen und ihrem Arbeitsplatz. Für die Angestellten geht es dabei vor allem um die tägliche Interaktion mit ihrer Informationstechnologie. Mit Blick auf die genutzte Software bedeutet UX (nicht nur, aber auch) eine einfache, idealerweise die vom Smartphone gewohnte One-Touch-Bedienung sowie die Bereitstellung über jedes nur erdenkliche Eingabegerät, von der Stechuhr bis zur App.
Es ist vor allem auch ein in weiten Teilen verändertes Verständnis zur Arbeit, das Zeiterfassung und Zeitwirtschaft neue Rollen und Aufgaben zuordnet, die sowohl dem Unternehmen als auch den Mitarbeitenden zugutekommen sollen. Damit sich die Mitarbeitenden im Betrieb wohlfühlen, ziehen Unternehmen einige Register. So soll Arbeit heute unter anderem von einem gewissen Autonomie-Faktor umrahmt sein. Schaut man genauer hin, geht es hierbei um Begriffe wie lebensphasenorientierte Arbeitszeiten, um flexible Arbeitszeitmodelle, mehr Zeitsouveränität und die flexible Berücksichtigung von Arbeitszeitwünschen. Hinzu kommen Langzeit- und Lebensarbeitszeitkonten, mehr Transparenz und andere Goodies, die den Mitarbeitenden das Leben versüßen und Spaß an der Arbeit geben sollen.
Für dieses veränderte Bild der Arbeit schafft die Weiterentwicklung von Zeiterfassungs- und Zeitwirtschaftslösungen eine gute Ausgangsbasis. Das haben auch die Anbieter von Zeiterfassung- und Zeitwirtschaftslösungen erkannt, deren Programme teilweise über entsprechende Funktionen verfügen. So sieht man auch bei PCS deutlich den Trend zu mehr Freiheit und Eigenverantwortung der Mitarbeitenden über Ort und Zeit ihres Arbeitspensums. „Die Flexibilisierung, die durch Corona ausgelöst wurde, ist inzwischen unumkehrbar“, sagt PCS-Marketingleiterin Caroline Elsner. „Die Erfassung der Arbeitszeit dient nicht nur der Dokumentation, sondern kann zum Beispiel auch als Instrument genutzt werden, um dem Team den aktuellen Anwesenheitsstatus zu kommunizieren.“ Das geht bis zur Abstimmung von Arbeitszeiten und Schichten, ohne dass Dritte involviert sind.
Die Frage, ob Kunden Zeiterfassung und Zeitwirtschaft verstärkt zu anderen Zwecken nutzen, bejaht auch Katharina Röhrig, CEO der GFOS Group: „Das ist definitiv so. Unternehmen setzen sich in diesem Kontext immer mehr mit Themen wie New Work,
Work-Life-Balance und Mobile Working auseinander.“ Gleichzeitig trügen Fachkräftemangel und Digitalisierung dazu bei, dass Unternehmen im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte mit einem gewissen Innovationsdruck konfrontiert würden. „Flexible Arbeitszeiten und Arbeitsformen und mehr Autonomie bei der Arbeitsgestaltung erfordern ein neues Mindset – und zwar von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden“, betont Röhrig.
Unternehmen, die New Work leben, würden als attraktive Arbeitgeber wahrgenommen, die qualifizierte Fachkräfte anziehen und halten könnten. „Denn wer möchte schon zu einem altmodischen Arbeitgeber, wenn als Alternative die neue und moderne Arbeitswelt wartet?“ Ähnlich sieht das Manuel Förster, Produktmanager Time Management bei Interflex: „Wir nehmen auch wahr, dass Kunden Zeiterfassung und Zeitwirtschaft vermehrt als Mittel zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität nutzen.“
Mehr als Work-Life-Balance & Co.
Neben ihrer Verwertung für die Entgeltabrechnung finden die anfallenden Daten in der Regel Eingang in Personalplanungen und die Personaleinsatzplanung. Mittels Analytics-Anwendungen sind die unterschiedlichsten personalrelevanten Kennzahlen generierbar, und Prognosen können taktische und Personalentscheidungen vorbereitend unterstützen. Workflows und Prozess-Automation zur Übergabe der Daten in die PEP, ins Controlling oder einfach nur in ein Employee-Self Service-Portal vereinfachen generische HR-Aufgaben und schaffen gleichzeitig die von Mitarbeitenden gewünschte Transparenz. Dort können sie sich jederzeit einen Überblick über ihre geleisteten Arbeitszeiten verschaffen.
Umfassende Lösungen sind oft die bessere Alternative zu Best-of-breed Auch das zählt zur User Experience: Umfassende Lösungen, Suiten, wie sie zum Beispiel von den großen ERP-Herstellern zur Verfügung gestellt werden, sind für Anwender oft die bessere Alternative zum Best-of-Breed-Ansatz. Der Grund: So können sie die teilweise aufwändige Anbindung zu anderen Anwendungen, wie zum Beispiel zu Buchhaltungs-, Rechnungs-, Projektmanagement- oder Analysetools und damit unterschiedliche Benutzeroberflächen umgehen. Das bedeutet, dass die Arbeitszeiten automatisiert unter einer einheitlichen Benutzeroberfläche erfasst werden und sofort zur weiteren Verarbeitung zur Verfügung stehen. Das dient nicht nur zur Berechnung von Entgelten, sondern es wird einem bestimmten Projekt ein festes Budget sowie ein Stundensatz zugewiesen.
Gleichzeitig werfen Analytics-Funktionen per Mausklick umfassende Reports aus, die in die strategische Personalplanung einfließen. Für Markus Wieser, Managing Director Product Management bei ATOSS, ist klar: „Oft reichen schon einfache Prozessoptimierungen beziehungsweise digitale Workflows und mehr Transparenz rund um die Arbeitszeit aus, um den Arbeitsalltag der Belegschaft einfacher zu machen. Über Self Services können Mitarbeitende außerdem in die Administration und in die Dienstplanung einbezogen werden. Auch das fördert die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Über eine Dienstplanwunscheingabe sehen sie, welche Arbeitszeit- oder Schichtangebote an einem bestimmten Tag zur Verfügung stehen und können sie per Mausklick auswählen.“
Aus den digital erfassten Arbeitszeitdaten lassen sich zudem wichtige Zusammenhänge und Entwicklungen ableiten. So zum Beispiel, welche Art von Arbeitszeit vorliegt und wie sich die entsprechende Lohnart entwickelt. Auch Überstunden- und Saldenverlaufsanalysen spielen eine wichtige Rolle. Da geht es zum Beispiel darum, wie viele Überstunden in den einzelnen Abteilungen geleistet werden. Besonders interessant ist auch die Analyse, ob Überstunden durch bestimmte Arbeitsmuster oder Saisonzeiten anfallen. Im Hinblick auf die Personalkosten können auch Kontierungs-Analysen von Interesse sein: werden Arbeitsstunden zum Beispiel direkt auf Projekte, Kostenträger oder Kostenstellen gebucht, lässt sich die Entwicklung auf den jeweiligen Kontierungen differenziert betrachten.
Kritiker befürchten einen Verlust von Produktivität
Allerdings: wo Licht ist, ist in der Regel auch Schatten. Kritiker befürchten nämlich negative Auswirkungen der Zeiterfassung. Da ist zum Beispiel das Thema Vertrauensarbeitszeit, das sich für bestimmte Berufsgruppen erfolgreich durchsetzte und großer Beliebtheit erfreute. Deshalb, so die Zeiterfassungs-Kritiker, könnte so etwas wie „Zeitorientierung versus Produktivität“ entstehen. Der Blick für das Wesentliche der Mitarbeitenden könne verloren gehen und schließlich könne man eine achtstündige Anwesenheit nicht mit Produktivität gleichsetzen. Einige Angestellte könnten sich, so andere Befürchtungen, durch die Zeiterfassung kontrolliert und überwacht fühlen, was zu einem Vertrauensverlust gegenüber dem Arbeitgeber führen könnte. Darüber hinaus müsse das Thema Zeiterfassung richtig im Unternehmen kommuniziert werden. Das könne, glauben Skeptiker, dazu führen, dass einige Mitarbeiter nicht mehr zielorientiert arbeiten, sondern nur noch ihre vereinbarte Arbeitszeit abarbeiten. Es bleibt abzuwarten, wohin die Reise geht.
Info
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Ulli Pesch ist freier Journalist und schreibt regelmäßig über das Thema HR-Software in der Personalwirtschaft.