Wie wäre es, wenn Mitarbeitende von selbst immer ehrgeizigere Ziele verfolgen, intrinsisch motiviert die Ärmel hochkrempeln, vor Zuversicht und Kreativität sprühen und Probleme nur als anstachelnde Motivationsbooster sehen? Und dazu passend würden Führungskräfte und Personalerinnen, die diese Verhaltensmuster vorleben, fördern und fordern, gerade bei den Millenials, den jungen Kolleginnen und den neuen Azubis im Unternehmen: Das wäre doch wie das Paradies auf Erden, oder? Erst recht, wenn die Kantine Espresso-O-Saft zu PokeBowls serviert und Virtual-Reality-Brillen an Stehtischen vorhält.
Fred Luthans, ein amerikanischer Verhaltens- und Organisationswissenschaftler, der unter anderem Leadership-Kurse vor Kadetten der berühmt-berüchtigten West Point Academy gehalten hat, hat wohl mit Espresso-O-Saft wenig am Hut. Aber er hat ein theoretisches Führungskonzept entwickelt, das als Instrumentenkasten für mehr Motivation sehr hilfreich sein kann – das so genannte Psychologische Kapital oder kurz PsyCap.
Neuer Antrieb für Bewerbungen
In einer großen Metaanalyse, die insgesamt 51 Studien mit fast 13.000 teilnehmenden Beschäftigten zusammenfasst, kamen Luthans und sein Team schon 2011 unter anderem zu dem Schluss: Arbeitszufriedenheit, Einsatz für die Ziele der Organisation und psychologisches Wohlbefinden sowie die Leistung der Mitarbeitenden stehen in positivem Zusammenhang mit höherem Psychologischem Kapital. Zynismus, Wechselabsichten, Stresserleben andererseits sind umso niedriger, je höher die PsyCap-Werte sind.
Corinna Schmidt, Betriebswirtschaftlerin an der TU Dortmund, fand wiederum jüngst in den Untersuchungen für ihre Doktorarbeit im Jobcenter Osnabrück heraus: Gerade auf Menschen wie Langzeitarbeitslose, die nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens stehen, kann das Psychologische Kapital signifikant positive Auswirkungen haben. So finden sie beispielsweise neuen Antrieb, um sich zu bewerben. Und es lässt sich sogar vom Beratungspersonal im Jobcenter auf die Kundschaft übertragen! Eine aktuelle Studie aus Indonesien legt nahe, dass gerade das Arbeitsengagement von Millennials durch höheres PsyCap gesteigert werden kann. Auch zur Kreativitätssteigerung von Beschäftigten durch mehr PsyCap im Covid-Lockdown gibt es frisches Datenmaterial.
Was kann HR tun?
Was aber können Führung und HR konkret tun, um Psychologisches Kapital zu mehren? Wenn Sie jetzt auf drei Schritte oder fünf Säulen oder eine schöne zwei-mal-zwei-Matrix hoffen, kann ich Sie beruhigen: Das PsyCap-Konzept kennt vier Elemente, sie lassen sich nach den amerikanischen Bezeichnungen mit dem Akronym „HERO“ bezeichnen: Hoffnung, Selbstwirksamkeit, Resilienz und Optimismus. Werden diese Elemente gestärkt, dann steigt das Psychologische Kapital.
Hoffnung in diesem Sinne mehren heißt: Ziele anzustreben und gleichzeitig konkrete Vorstellungen davon zu haben und zu vermitteln, wie diese Ziele erreichbar sind. Selbstwirksamkeit ist schlicht das Vertrauen, aktiv werden zu können und Dinge gebacken zu kriegen. Und zwar – das ist dann schon die dritte Dimension von PsyCap, die Resilienz – auch dann, wenn es schwierig, klebrig, unübersichtlich wird. Optimismus, PsyCap-Rezept Nummer vier, ist die bewusste Wahrnehmung von Erfolgen, die positive Umdeutung von Misserfolgen („Noch-nicht-Erfolge“) und die Fähigkeit, soziale Unterstützung einzuholen – um künftige Erfolge wahrscheinlicher zu machen.
Wenn Sie selbst Führungskraft sind oder an Ihre Führungskräfte denken: Wie steht es da um die „Heldenhaftigkeit“, welche der vier HERO-Dimensionen ist bei Ihnen oder denen, die Sie führen, wie stark ausgeprägt? Was ist schon da – und was könnte noch mehr und besser werden? Wie sehen Sie das – und wie sehen das die Mitarbeitenden, die Millennials und die Älteren?
Ein Allheilmittel, das sofort und überall funktioniert, ist das Psychologische Kapital natürlich nicht. Aber einen Versuch ist es wert, oder? Genauso wie der Espresso-O-Saft und die Metaverse-Brillen.
Info
Der Artikel erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe der Personalwirtschaft. Hier können Sie das E-Paper lesen und abonnieren – der erste Monat ist kostenlos.
Christian Thiele ist Autor und Coach für positive Leadership. Sein Buch „Positiv führen für Dummies“ ist gerade im Wiley-Verlag erschienen, sein Podcast „Positiv Führen“ lässt sich auf allen großen Podcast-Plattformen abrufen.
https://positiv-fuehren.com/