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Gewalt gegen Frauen: Was HR tun kann

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„Wie ist es, eine Überlebende häuslicher Gewalt zu managen?“, fragt Fatma Kaya, Beraterin für People und Project Management auf LinkedIn. Sie berichtet von dem Moment, als ihre Kollegin Meriem Lebdiri ihr in einem Hotelzimmer erzählte, dass sie Opfer einer gewalttätigen Ehe war. Sie habe von schmerzhaften Erfahrungen erzählt und von den Narben, welche die Mutter von zwei Kindern davon trug. „Ich bin ihre Managerin, doch an diesem Tag war ich vor allem eins: eine Freundin und eine Zuhörerin. Und mir wurde klar, dass es nicht nur um die körperlichen Wunden geht, die Gewalt hinterlässt, sondern um die unsichtbaren Narben, die tief in der Seele sitzen.“

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Zahlreiche Personalerinnen und Personaler schließen sich dem Thema am Internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt an Frauen am 25. November an und highlighten die UN-Kampagne „Orange the world“. Sie macht seit 1991 auf die Gewalt gegen Frauen aufmerksam. Und die ist in Deutschland in den vergangenen Jahren gestiegen. 2023 gab es laut einer aktuellen Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) beinahe jeden Tag einen Femizid. Alle drei Minuten erlebt eine Frau oder ein Mädchen häusliche Gewalt. Gleichzeitig nahm die digitale Gewalt gegen Frauen von 2022 auf 2023 um rund 25 Prozent zu (auf über 17.193 Fälle). Auch bei der politisch motivierten Kriminalität gegenüber Frauen gab es einen drastischen Anstieg (um 56,3 Prozent auf 322 Fälle). Die überwiegende Zahl der Opfer und Tatverdächtigen ist deutscher Staatsangehörigkeit.

Wie viele der Gewalttaten am Arbeitsplatz stattfinden, hat das BKA nicht untersucht. Einen Anhaltspunkt dafür liefert eine globale Studie der Internationalen Arbeitsorganisation. Demnach hat weltweit mehr als jede fünfte Person (fast 23 Prozent) während der Arbeit Erfahrung mit Gewalt oder Belästigung gemacht – physischer, psychischer oder sexueller. Doch wenn Gewalt am häufigsten im Privatleben stattfindet, warum sollten sich Arbeitgeber dann damit beschäftigen?

Häusliche Gewalt wirkt sich auf die Arbeit aus

In der Konvention Nr. 190 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die Beseitigung von Belästigung und Gewalt in der Arbeitswelt ist nicht nur festgehalten, dass jedes Individuum das Recht hat, seine oder ihre Arbeit frei von sexueller Gewalt, Belästigung oder Unterdrückung auszuüben. Auch steht dort: Häusliche Gewalt kann Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben und diese Auswirkungen sollten – wenn möglich – minimiert werden. Deutschland hat die Konvention Nr. 190 2023 ratifiziert und muss sie nun in nationales Recht überführen. Dementsprechend müssen Arbeitgeber laut Arbeitsrechtler Volker Serth Präventions- und Schutzmaßnahmen haben sowie Schulungen und Informationsangebote.

So geht Vodafone vor

Vodafone hat eine internationale Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse den Zusammenhang zwischen Gewalt im Privatleben und Arbeitswelt aufzeigen. Demnach berichten 94 Prozent der betroffenen Mitarbeitenden, dass die Gewalt, welche sie zuhause erfahren, ihre Arbeitsleistung negativ beeinflusst. So seien sie etwa weniger produktiv und hätten mehr ungeplante Fehlzeiten. Basierend auf der Studie hat Vodafone Maßnahmen ergriffen, um Mitarbeitende, welche Opfer von häuslicher Gewalt oder Gewalt am Arbeitsplatz sind, zu unterstützen. Diese sehen folgendermaßen aus:

  • Betroffene bekommen zehn zusätzliche Urlaubstage, um beispielsweise Gerichtstermine oder ärztliche Behandlungen wahrzunehmen, oder umzuziehen.
  • Sollten die entsprechenden Mitarbeitenden finanzielle Probleme haben, zahlt ihnen Vodafone den Lohn vorzeitig aus.
  • Arbeitsort und Aufgabenbereiche können in Absprache geändert werden.
  • Das Empfangs- und Sicherheitspersonal in den Betrieben kann über mögliche Täterprofile informiert werden.
  • Die dienstliche Telefonnummer sowie die E-Mail-Adresse können auf Wunsch geändert werden.
  • Arbeitszeit kann flexibel gestaltet werden.
  • Betriebsarztzentren und Diversity Manager dienen als Anlaufstellen und Vertrauenspersonen.
  • Für Führungskräfte wurden Handlungsempfehlungen entwickelt, wie sie mit Fällen innerhalb ihres Teams umgehen können. „In einem ruhigen, persönlichen Gespräch könnte das Thema vorsichtig angesprochen werden“, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. So könnte die Führungskraft fragen: „Geht es dir gut? Mir fällt auf, dass du in letzter Zeit sehr ruhig bist. Kann ich dir vielleicht weiterhelfen?“ Auch sollte im Gespräch auf interne und externe Hilfsangebote hingewiesen werden. „Selbst wenn man vermeintlich nichts bewirkt hat, ist wegschauen keine Option“, heißt es vonseiten Vodafone. „Häufig stößt ein Gespräch auch erst zeitversetzt etwas an und die Betroffenen wenden sich an Fachleute ihres Vertrauens.“

Sensibilisieren und Aufklären

Vodafone ist nicht der einzige Arbeitgeber in Deutschland, der sich der Thematik angenommen hat und die Belegschaft informiert. Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) setzt einen Fokus auf die Prävention von Gewalt – wobei dort anscheinend vor allem Sexismus und sexuelle Belästigungen thematisiert werden. Die BA-Vorständin für Ressourcen, Katrin Krömer, erklärt auf Linkedin: „Sexismus ist ein Nährboden für Gewalt. Dafür darf nirgends Platz sein – erst recht nicht am Arbeitsplatz.“ Bei der BA würden deshalb die Führungskräfte in Leadership-Talks für Sexismus sensibilisiert. Zudem werden Beschäftigte qualifiziert, an die sich Opfer von sexueller Belästigung wenden können. BA-Gleichstellungsbeauftragte würden außerdem bundesweit mit zusammengestellten Materialien über Sexismus und sexuelle Belästigung aufklären, und es gibt eine Beschwerdestelle an jedem Standort.

Auch die HR-Beraterseite positioniert sich zum Internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt an Frauen und gibt Tipps, um im (Arbeits-)Alltag Gewalt einzudämmen. Ute Neher, Principal Talent Intelligence bei Indeed, schreibt: „Gewalt hat viele Gesichter, auch am Arbeitsplatz. Machtmissbrauch, Mobbing, Diskriminierung und Schweigen, wo Solidarität nötig wäre.“ Sie empfiehlt Arbeitgebern und Arbeitnehmenden, hinzuschauen, Warnsignale zu erkennen und Räume zu schaffen, in denen sich Betroffene sicher fühlen. Auch sollten sich Unternehmen klar gegen Gewalt positionieren und diese im Arbeitsumfeld aktiv bekämpfen. Neben Sensibilisierungen und Weiterbildungen rät Neher auch, Unterstützungsangebote wie Beratungsstellen, Anti-Gewalt-Trainings und Schutzmaßnahmen für Betroffene zugänglich zu machen.

Hier ist das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen zu nennen (116 016). Bei der Anlaufstelle können sich Betroffene telefonisch, per Sofort-Chat oder per E-Mail vertraulich und kostenlos beraten lassen. Daniela Schubert berät Unternehmen hinsichtlich Diversity und weist zudem darauf hin, wie wichtig es auch für die Eindämmung der Gewalt an Frauen ist, den Gender Pay Gap zu schließen. Viele Frauen könnten sich mit ihrem aktuellen Gehalt nicht mal den Aufenthalt in einem Frauenhaus leisten, schreibt Schubert auf Linkedin.

Geduldig sein und nicht urteilen

In ein Frauenhaus in Bayern schaffte es Meriem Lebdiri, nachdem sie vor rund zehn Jahren aus ihrer gewaltvollen Ehe ausgebrochen ist. Zum „Orange Day“ will sie Unternehmen vor allem mitgeben: „Häusliche Gewalt macht keinen Halt vor dem Berufs- und Erfolgsstatus“, sagt sie. Gleichzeitig wisse sie, wie schwer es als Betroffene ist, darüber zu sprechen. „Scham und Isolation machen es fast unmöglich, sich jemandem anzuvertrauen. Die Kontrolle durch die Täterinnen und Täter ist erdrückend.“ Zusätzlich zu den zuvor von Unternehmensvertreterinnen genannten Ratschlägen empfiehlt sie Menschen wie ihrer Managerin Fatma Kaya, der sie sich selbst gegenüber geöffnet hat: „Höre zu. Urteile nicht. Gib keine Ratschläge, sondern biete Verständnis. Sei geduldig. Jeder Schritt braucht Mut – sei da, wenn sie ihn geht.“

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.