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Reskilling und Upskilling: Mit KI und Data Analytics den Bedarf feststellen

Frage an die HR-Werkstatt: Wie können wir mit KI und Data Analytics das Qualifikationsdefizit evaluieren?
Es antwortet: Kerstin Lange, Associate Director im Beratungsbereich Employee Experience bei WTW, Frankfurt

Die Hälfte der Arbeitskräfte weltweit muss bis 2025 umgeschult werden, schätzt das Weltwirtschaftsforum (WEF.) Etwa 85 Millionen Arbeitsplätze werden bis 2025 entfallen, während 97 Millionen neue geschaffen werden. Da überrascht es kaum, dass Skills als die neue Währung eines modernen Unternehmens bezeichnet werden. Nur durch Reskilling und Upskilling, also das kontinuierliche Lernen neuer Fähigkeiten für neue und aufstrebende berufliche Rollen, lassen sich Lernen und Performance mit den Unternehmenszielen in Einklang bringen.

Von pandemiebedingtem Veränderungsdruck zu Zukunftsfähigkeit

Zu Beginn der Pandemie war das Reskilling der Mitarbeiter angesichts der äußeren Umstände zunächst eine kurzfristigen Überlebensstrategie. Unternehmen, die ihre Beschäftigten auch in Zeiten der „Great Resignation“ an sich binden wollen, müssen jedoch über diesen kurzfristigen Ansatz hinausgehen. Dies bedeutet auch, einen Weg zu finden, um jetzt und in der Zukunft die erforderlichen Fähigkeiten intern und extern zu erkennen. Gerade hier kann künstliche Intelligenz (KI) einen wesentlichen Beitrag leisten.

Künstliche Intelligenz zur Skills-Analyse

Zuallererst sollte ein Ziel festgelegt werden, idealerweise im Kontext der breiteren Employee Experience (EX). Welche Skills heute und künftig relevant sind, richtet sich nach Unternehmensstrategie, Prioritäten, Zielen und EVP. Das „Skill Gap“ wird dabei durch eine Gegenüberstellung des zukünftigen Qualifikationsbedarfs mit dem aktuellen Qualifikationsniveau analysiert. Durch den Vergleich der vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten mit den künftigen Qualifikationsanforderungen können potenzielle Talentlücken eingeschätzt werden.

Kerstin Lange ist Associate Director im Beratungsbereich Employee Experience bei WTW, Frankfurt. (Foto: WTW)
Kerstin Lange ist Associate Director im Beratungsbereich Employee Experience bei WTW, Frankfurt. (Foto: WTW)

Wie kann nun maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz (KI) helfen, vorhandene Skills und potenzielle Qualifikationslücken einzuordnen und in Relation zu den jetzigen und zukünftigen Skills zu setzen? Bis vor kurzem lag der Hauptnutzen von Technologie in der Effizienzsteigerung: Sie ermöglichte es, dieselben Dinge schneller und kostengünstiger zu tun, etwa schnell Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über das Internet rekrutieren. Heute kann man dank KI schneller die richtigen Kandidatinnen und Kandidaten rekrutieren, indem die Passung von Bewerberinnen und Bewerberbern und Aufgaben automatisiert abgeglichen, die Erfolgswahrscheinlichkeit vorhergesagt und die Zeit für die Besetzung einer Stelle abgeschätzt werden kann. Wo früher HR-Initiativen nur zu schrittweisen Veränderungen führten, bietet KI die Möglichkeit zu exponentiellen Leistungsverbesserungen im Personalwesen.

Der traditionelle Ansatzpunkt für die Verwaltung von Skills ist die Erweiterung der klassischen Stellenarchitektur, indem Anforderungsprofile von Jobs durch die benötigten Skills erweitert werden. Während viele Unternehmen intern eigene Kataloge mit Skills und Kompetenzen erstellt haben, nutzen andere bestehende Datenquellen für Skills, externe Technologiepartner oder eine Kombination aus beidem.

Internal Skills Audit und Data Crowd Sourcing

Zu den internen Datenquellen für die Skills-Evaluierung zählen etwa folgende Optionen:

  • Internal Talent Marketplace: Wie im Crowdsourcing können auf einer solchen Intranetplattform alle Mitarbeitenden einen Beitrag leisten, ohne dass HR manuell eingreifen muss. Mitarbeitende können ermutigt werden, sowohl ihre Fähigkeiten als auch ihre Präferenzen einzutragen, etwa die Bereitschaft zu einem Ortswechsel. Auf dieser Basis können Mitarbeiter und Projekte durch KI-gestützten Analysen intern zum Beispiel für internal gig work zusammengebracht werden. Dies fördert die interne Mobilität und marktplatzbezogenes Mentoring und Coaching.
  • Befragungen von Mitarbeitern und Führungskräften werden zweifellos gute Ideen generieren: Welche Tätigkeiten erfordern – heute und künftig – welche Fähigkeiten? Welche Technologie soll eingesetzt werden (und wie?), welche neuen Arbeitsweisen sind erforderlich? Statt Ressentiments zu schüren, die bei top-down-gesteuerten Initiativen auftreten können, bietet dies Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre eigenen Wege zu gestalten, Bedürfnisse und Wahrnehmungen zu äußern und letztendlich eine bessere Employee Experience zu gestalten.
    Mitarbeitern könnte hier die Möglichkeit gegeben werden, nicht nur vorhandene Stärken, sondern zum Beispiel auch Fähigkeiten anzugeben, die sie erst noch erwerben müssen, Qualifikationsanforderungen zu ermitteln, Hindernisse für die Qualifikationsagenda zu identifizieren, Lösungen vorzuschlagen, die Effektivität von Lernprogrammen zu verbessern. Aber auch Ansichten der Führungskräfte über die längerfristige Ausrichtung des Unternehmens, Fähigkeiten und Verhaltensweisen sind entscheidend.
    Bei offenen Fragen ermöglicht Natural Language Processing (NLP), ein Teilbereich von KI, die menschlichen Sprache schnell und genau zu entschlüsseln, so dass Konzepte und Ideen verstanden werden können und nicht nur Worte allein.
  • KI-unterstützte Fokusgruppen: Online-Videos, Technologien zur Gesichtsanalyse, KI und Neuromarketing haben die Art und Weise, wie Fokusgruppen durchgeführt werden, verändert und machen sie einfacher, günstiger und schneller als je zuvor. Virtuelle Fokusgruppen können mit KI-gestützte Analysen in Echtzeit Skill-Diskussionen unterstützen, um zugrundeliegende Themen und neue Ideen aufzudecken und Kommentare in Sekunden nach demografischen Gruppen zu segmentieren.

Skills der Zukunft: externe Perspektiven einbeziehen

Können sich Unternehmen auf Qualifikationsdefizite in einer Zukunft vorbereiten, die nur wenige von uns abschätzen können? Das ist nicht einfach, denn aktuelle und künftige Qualifikationen entwickeln sich ständig weiter und lassen sich nicht einfach durch eine Software-Abfrage bestimmen. Rasanter technologischer Wandel kann zu plötzlichen Veränderungen des Qualifikationsbedarfs führen. Es ist jedoch möglich, über eine grobe Vorabanalyse hinauszugehen, indem man Technologien zur Einschätzung des künftigen Bedarfs einsetzt und externe Markt-Einblicke mit internen Unternehmens-Einblicken kombiniert.

So lassen sich beispielsweise öffentlich zugängliche Stellenbeschreibungen durchsuchen, um aktuell vorherrschende Qualifikationen besser zu verstehen, oder einen „Markt-Blick“ auf neu entstehende Qualifikationen zu werfen (welche Fähigkeiten sollten eingekauft, welche durch Schulungen aufgebaut werden?). Ressourcen wie Kompetenz-Frameworks, agile Coaching-Frameworks, Analytiksoftware wie SkillsVue oder Bewertungs-Tools für Web-Scraping wie Jobable helfen Unternehmen dabei, nicht mit einem leeren Blatt Papier starten zu müssen. Talentplattformen helfen bei der Automatisierung von Skills Mapping, interner Mobilität, Personalbesetzung und Mitarbeiterentwicklung.

Da aber nicht jede Fähigkeit den gleichen Stellenwert hat, muss mithilfe von Modellen ermittelt werden, welche Fähigkeiten an Bedeutung gewinnen oder verlieren. Hierfür braucht es intern und extern identische Begrifflichkeiten und Taxonomien.

Die Herausforderung besteht darin, die schiere Menge an Daten aus verschiedenen Quellen in verschiedenen Sprachen und von verschiedenen Interessenvertretern zu verarbeiten und zu bereinigen. Eine integrierte Qualifikationsplattform für alles gibt es (noch) nicht, aber immer mehr Unternehmen integrieren Daten und Informationen aus einer Vielzahl von Datenquellen. Dies dürfte künftig für HR noch wertvoller werden, da sich die Methoden zur Erschließung unterschiedlicher Datenquellen kontinuierlich verbessern.

Neugestaltung der Arbeit

Nach der Analyse gilt es, die gewonnenen Erkenntnisse für die Neugestaltung der Arbeit (das heißt die Definition künftiger Rollen) und die Einrichtung einer Infrastruktur für Up- und Reskilling zu nutzen. Somit kann eine Organisation zukunftssicherer, inklusiver, flexibler und widerstandsfähiger aufgestellt werden, um auf Herausforderungen wie die Pandemie reagieren und neue Marktchancen nutzen können.

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