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Praxistipps gegen den Fachkräftemangel: So findet HR noch Kandidaten

Welche Tipps haben Sie für die Personalgewinnung? Anfang August haben wir bei Linkedin gefragt, wie Recruiting heute noch funktionieren kann und wie Personalverantwortliche in Zeiten des Arbeitskräftemangels Talente finden. Die ersten Antworten haben wir in unserer September-Ausgabe abgebildet. Per Sprachnachricht eingegangene Statements fließen in unseren Podcast „VETO! Die HR-Debatte“ ein. Doch uns erreichten noch weitere interessante Kommentare mit Tipps, rund um das Thema Arbeitskräftegewinnung und -bindung.

Auf individuelle Bedürfnisse eingehen

Zum Beispiel von Dominik Bernauer. Er ist Berater und Autor und findet, HR muss individuell auf Talente eingehen: „Unternehmen müssen sich fragen, ob sie eine Zielgruppe mit Obstkörben glücklich machen können.“ Wenn das funktioniere, sei es prima, doch viele Mitarbeitenden hätten auch noch andere Wünsche und Bedürfnisse. Wenn Kandidatinnen und Kandidaten beispielsweise gerne später aufstehen, dann brauche es etwa flexible Arbeitszeitmodelle. Diese Bedürfnisorientierung steigere nicht zuletzt die Zufriedenheit, die wiederum langfristig binde.

„Silver Ager“ gezielt rekrutieren

Sogenannte „Silver Ager“ zu rekrutieren kann Betrieben gleich doppelt helfen, sagt Carmen Fleiner, Project Leader bei der Beratung Alpine One GmbH. Denn sie besetzen nicht nur freie Stellen, sie bringen auch erprobte Krisenbewältigungsstrategien mit. „Die Erfahrung zeigt, dass, bedingt durch die Pandemie, viele ältere Mitarbeitende frühzeitig in Rente gehen, da persönliche Motive wichtiger geworden sind als der Beruf“, sagt Fleiner. Doch um ältere Mitarbeitende für den Arbeitsmarkt zurückzugewinnen, zu halten oder grundsätzlich zu rekrutieren, müssten Unternehmen auch auf deren spezifische Bedürfnisse eingehen. „Das betrifft den Purpose, Jobprofile, Flexibilität, Perspektiven, die Arbeitscommunity und insbesondere auch Gesundheitsmaßnahmen“, so die Beraterin.

Die Arbeitgebermarke stärken

Der zunehmende Arbeitskräftemangel macht auch vor dem öffentlichen Dienst nicht halt. Hier kann es sich lohnen, die Arbeitgebermarke zu stärken und in Szene zu setzen, erklärt Julia Göpel, Regierungsdirektorin und Leiterin der Personalentwicklung des Regierungspräsidiums Kassel: „Wir haben die Homepage überarbeitet, das Recruiting im Ausbildungsbereich individueller und wertschätzender gestaltet, verbessern das Employer Branding und haben unter anderem einen Recruitingfilm gedreht.“

Gehälter anpassen

Die Berliner Brauerei BRLO setzt beim Binden und Gewinnen von Mitarbeitenden auf veränderte Arbeitszeiten: „Wir haben beispielsweise eine Vier-Tage-Woche im Küchenteam eingeführt“, erklärt Yvonne Kalthöfer, Head of HR. „Aber letztendlich steigen auch die Gehälter in der Branche seit der Wiedereröffnung der Gastronomie deutlich.“ Weitere Gehaltssteigerungen für die Gastronomie erwartet die Personalerin mit Erhöhung des Mindestlohns im Oktober auf 12 Euro. Die Branche ringt seit der Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen um Arbeitskräfte. Viele haben die Branche gewechselt.

Stellenanzeigen optimieren

Stellenanzeigen sind oft langweilig gestaltet, findet Joachim Mebus, Debitorenbuchhalter bei der DHL. Etwas mehr Abwechslung im Aufbau würde guttun und mehr Aufmerksamkeit generieren. Außerdem würde eine zentrale Info oft gar nicht auftauchen: die Höhe des Gehalts. „Über Gehälter und Arbeitsverträge wird erst im zweiten oder dritten Vorstellungsgespräch gesprochen, was viel zu spät ist“, meint Mebus.

Attraktive Benefits anbieten

Elise Müller, Vice President People & Culture, Spryker: Attraktive Benefits helfen Mitarbeitende zu finden und zu binden.

Stellenangebote in Fachforen platzieren

Eva Mettenmeier ist Managing Director der Maschinenraum GmbH, einer Initiative, die mittelständische Unternehmen vernetzt, um sich auf die Arbeitswelt der Zukunft vorzubereiten. Die hier aktiven Unternehmen entwickeln ihre HR-Arbeit auf unterschiedlichen Feldern weiter: „So werden beispielsweise Karriereseiten erstellt und Formate wie Videos und Chatbots eingebunden, um die Aufmerksamkeit für ausgeschriebene Stellen zu erhöhen.“ Im Hintergrund wird an den internen Prozessen gearbeitet, um etwa Antwortzeiten zu verkürzen. Das schaffe positive Erfahrungen bei den Kandidatinnen und Kandidaten. Außerdem würden Talentpools aufgebaut werden. „Auch Fachabteilungen werden eingebunden, indem sie beispielsweise in Fachforen aktiv sind und Sichtbarkeit erzeugen oder der Stellenanzeige eine persönliche Botschaft hinzufügen“, sagt Mettenmeier.

Des Weiteren würden Partnerschaften zu Schulen und Unis genutzt, um jungen Talenten auf das Unternehmen aufmerksam zu machen. Um Mitarbeitende zu binden, würden Onboarding-Prozesse nachhaltig gestaltet. „Sie können sich über mehrere Monate erstrecken. Innerhalb dieser Einarbeitungszeit werden regelmäßig Kennenlern-, Erwartungs- und Reflexionsgespräche geführt“, erklärt die Geschäftsführerin. Auch Re- und Upskilling helfe gegen den Fachkräftemangel: „Ein Mitgliedsunternehmen baut seine Lehrwerkstatt zu einem Ausbildungszentrum für Erwachsene aus. Hier werden langjährige Mitarbeitende weiter- und fortgebildet.“

Niedrigschwellige Bewerbungsangebote schaffen

Im Nachbarland Österreich setzt die illwerke vkw AG, ein Energieversorger, auf niedrigschwellige Bewerbungsverfahren. Eva Pohn, Leiterin Recruiting & Ausbildung, lockt dabei mit kostenlosen Burgern: „Wir haben kürzlich den ersten Karriere-Drive-in veranstaltet, um technische Fachkräfte in Vorarlberg (Österreich) zu erreichen.“ Interessierte konnten auf dem Weg nach Hause einfach vorbeikommen und ihre Qualifikationen checken lassen. Dafür sei nicht mal ein Lebenslauf oder Zeugnis nötig gewesen. Das Unternehmen setzte auf Gespräche. „An der zweiten Station gab es dann einen frisch zubereiteten Burger mit Pommes und Getränk zum Mitnehmen. Die Aktion war ein voller Erfolg. Große Reichweite, viel positives Feedback und geringe Kosten. Außerdem mehrere neue Kolleginnen und Kollegen“, berichtet Eva Pohn.

Interne Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen

Robin Sudermann, CEO, talentsconnect AG: Mitarbeitende, Kandidatinnen und Kandidaten müssen interne Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt bekommen.

International rekrutieren

IT-Fachkräfte und Softwareentwickelnde gehören zu den am schwierigsten zu findenden Fachkräften. HR sucht deshalb oft international. Jonas Thiemann, Co-Gründer und Co-CEO des Hamburger Company Builders applike group wünscht sich dafür auch mehr Unterstützung von der Politik: „Beim weltweiten Recruiting gibt es Hürden bei Arbeitserlaubnissen und Einbürgerungen. Wir warten teilweise zwei bis sechs Monate auf ein Arbeitsvisum für qualifizierte Teammitglieder. Das ist zu lang.“

Aber das Software-Start-up hat auch noch andere Ideen, um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. „Wir bauen unser Office mit Fitnessstudio, Yogaraum und Alster-Blick massiv aus. So schaffen wir Räume für Begegnungen. Erfolge feiern wir mit Company-Trips und geben zudem jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter ein Weiterentwicklungsbudget in Höhe von 1.500 Euro im Jahr.“

Auf Gamification setzen

Grundsätzlich kann beim Recruiting digital-affiner Talente auch ein Gamification-Ansatz helfen. Damit hat Stefanie Waschk, Geschäftsführerin der Digital-Beratung Fusion Campus, nach eigenen Angaben bereits Erfolge in Kundenprojekten erzielt. Derzeit entwickelt sie zusammen mit einem Veranstalter von E-Sport-Events eine E-Sport-Liga, an dem Teams aus Unternehmen um Kandidatinnen und Kandidaten aus dem Arbeitsmarkt ergänzt werden. Die Kandidatinnen und Kandidaten lernen so niedrigschwellig potenzielle Kolleginnen und Kollegen sowie das Unternehmen kennen. Darüber hinaus soll die Teilnahme an der sogenannten „Werksliga“ die Arbeitgebermarke und den Teamzusammenhalt stärken.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 2. September 2022. Am 23. September 2022 haben wir ihn um einige Stimmen ergänzt.

Tim Stakenborg verantwortet die Heftplanung des Magazins Personalwirtschaft. Zudem betreut er das Thema Aus- und Weiterbildung (inklusive MBA und E-Learning) und beschäftigt sich mit dem Bereich Employee Experience und Retention.