„Viele Unternehmen machen sich auf den Weg, um über Geld zu reden“, stellte Professor Claus Vormann von der Fachhochschule Dortmund in seiner Keynote beim 7. Praxisforum Total Rewards fest. Allerdings herrsche in vielen Organisationen in Deutschland noch eine totale Intransparenz beim Thema Vergütung. Doch mit der neuen EU-Richtlinie für europaweite Lohntransparenz müssen sich Arbeitgeber in den kommenden zwei Jahren darauf einstellen, Gehälter offenzulegen.
Bislang bemühen sich noch längst nicht alle um diese Aufgabe, wie eine Umfrage unter den Teilnehmenden beim PRAXISFORUM TOTAL REWARDS zeigte. Demnach haben erst zwei Prozent der Befragten Gehaltstransparenz in ihren Unternehmen umgesetzt. Knapp die Hälfte (48 Prozent) arbeitet noch daran. Ein gutes Viertel (27 Prozent) hat noch nicht begonnen, am Thema Entgelttransparenz zu arbeiten, hat dies aber vor. Ebenfalls ein knappes Viertel (23 Prozent) beschäftigt sich bislang noch gar nicht damit.
Transparenz ist kein Selbstzweck
Vielmehr soll Transparenz nach der Vorstellung des Gesetzgebers vor allem ermöglichen, Gehälter vergleichen und dadurch angleichen zu können und für mehr Fairness und Gerechtigkeit sorgen. Vor allem zwischen Frauen und Männern, denn in der EU verdienen Frauen pro Stunde immer noch durchschnittlich 13 Prozent weniger als Männer. Mehr Fairness ist nicht zuletzt aus ESG-Gründen wichtig, wie Dr. Christine Abel betonte, als sie zu Claus Vormann auf die Bühne kam. Und da Geldgeber vermehrt auf diese Kriterien achten, die früher als weich angesehen wurden, spielt es auch „gerade für uns als Unternehmen in Private-Equity-Besitz eine große Rolle“, ergänzte die Vice President Global Rewards and Benefits des Pharmaunternehmens Stada.
Die Rolle von Jobarchitekturen auf dem Weg zu Fair Pay
Organisationale Aspekte kamen ebenfalls bei der Veranstaltung zur Sprache – weil sie eben auch eine Rolle dabei spielen, wie Unternehmen für mehr Fairness sorgen können und damit auf Dauer die Mitarbeiterbindung stärken. „Gleiche Arbeit sollte auch gleich bezahlt werden“, betonte Lisa Bourcarde, Manager Workforce Transformation, Benefits & Compensation bei Deloitte. Um aber überhaupt verschiedene Positionen im Unternehmen vergleichen zu können, helfe eine definierte Jobarchitektur. Jede Organisation sollte sich damit beschäftigen, „denn sie hat Jobarchitekturen, selbst wenn sie nichts von ihnen weiß“, ergänzte Peter Devlin, der bei Deloitte den Fachbereich Benefits & Compensation leitet und gemeinsam mit Bourcarde eine Deloitte-Studie zum Thema Jobarchitekturen vorstellte. Wie genau die Jobarchitektur ausgestaltet ist, sei unter anderem von der Branche abhängig. Ein reines Dienstleistungsunternehmen zum Beispiel müsse sich um technische Jobfamilien wenig Gedanken machen.
Ein weiterer Gesichtspunkt kam beim Thema Jobarchitekturen zur Sprache: Muss auf eine erfolgreiche Karriere unbedingt immer eine Führungslaufbahn folgen? Nein ist die Antwort von Lars Hünninghausen von der Deutsche Bahn AG. Der Leiter Grundsätze Beschäftigungsbedingungen, Vergütung und Nebenleistungen verantwortet bei dem Staatsunternehmen die Vergütungsstrukturen für mehrere Tausend Fach- und Führungskräfte. Nach rund 180 Jahren hätten sich erst vor Kurzem zu den klassischen Führungskarrieren auch Karrierepfade für reine Fachexperten sowie für Projektmanagerinnen und -manager gesellt. Die Vergütung aller drei Pfade sei gleich. „Um Menschen besser bezahlen zu können, mussten wir sie in eine Karriere bringen“, erklärte der Vergütungsexperte. Dabei sei es zweitrangig, ob zu ihrer Funktion ein größeres Maß an Personalverantwortung gehöre oder nicht.
Fairness in Nebenleistungen
Auch jenseits der Gehaltstransparenz zog sich das Motiv Fairness wie ein roter Faden durch das Programm des Praxisforums. So stellten Roland Brüggemann, Leiter des Malteser Service Centers Köln, und Miguel Perez, Direktionsbevollmächtigter bei der Halleschen Krankenversicherung, die Pflegeleistung „Feelcare“ vor, die ihre Unternehmen gemeinsam entwickelt haben. Mit diesem Programm können Arbeitgeber Mitarbeitende, die Angehörige pflegen, organisatorisch und finanziell unterstützen. „Viele, die in diese Situation kommen, wissen erst einmal gar nicht, was sie eigentlich tun sollen“, sagte Brüggemann; mögliche Ansprüche und Möglichkeiten seien oft nicht bekannt. Hinzu komme, dass im Gegensatz zur Kinderbetreuung die Angehörigenpflege von vielen Arbeitgebern gar nicht wahrgenommen werde. „Unternehmenskitas gibt es heutzutage häufig, aber ein Unternehmenspflegeheim gibt es nirgendwo“, sagte Perez. Wenn sich dies ändert und Betroffene ausreichend unterstützt werden, dürfte sich nach Perez´ Einschätzung auch die Vollzeitquote erhöhen – schließlich würden die Mitarbeitenden entlastet, wenn die Zusatzversicherung für zusätzliche Pflegeleistungen bezahlt.
Einer ähnlichen Logik folgt das Konzept des Financial Wellbeing, das Christof Quiring, Head of Workplace Investing bei Fidelity International, vorstellte. Damit können Unternehmen ihren Mitarbeitenden finanzielle Sorgen nehmen. Sie stellen ihnen beispielsweise ein Notfallbudget oder ein Tool bereit, das Beschäftigte dabei unterstützt, privat besser hauszuhalten. Einen Use Case gebe es bei der Fluglinie Delta Airlines, wie Quiring berichtete. In Deutschland sei dagegen diese Art der Unterstützung bislang kaum verbreitet. Dabei könnte die Leistungsfähigkeit von Talenten steigen, wenn diese sich weniger finanzielle Sorgen machen müssten. Weil Finanzen Privatsache sind und die Belegschaft daher von ihrem Unternehmen keine Unterstützung erwartet, ist Quiring überzeugt: „Gerade deshalb kann der Arbeitgeber punkten, wenn er die Beschäftigten bei diesen Sorgen unterstützt.“
Individuelle Boni umstritten
Lars Hünninghausen ging darüber hinaus auf die variablen Vergütungsbestandteile der außertariflich Beschäftigten ein. „Es geht nichts ohne Strategie und Purpose.“ Das neue Vergütungssystem betont mit 60 Prozent die Relevanz strategischer, nicht finanzieller Leistungsindikatoren wie Nachhaltigkeits- und ESG-Kennzahlen. Persönliche Ziele sind nur noch zu 20 Prozent abgebildet. Schließlich handele es sich um eine Erfolgsbeteiligung und nicht um eine persönliche Prämie. „Wenn es nach mir ginge, gäbe es gar keine individuellen Boni.“ Doch damit habe er sich im Unternehmen nicht durchsetzen können – und auch aus dem Publikum bekam er nicht nur Zustimmung für diese Haltung. Immerhin sei es aber so, dass die persönliche Bonuskomponente mit der ohnehin stattfindenden Bewertung der individuellen Performance im Jahresgespräch synchronisiert ist, was den Prozess ungemein erleichtere.
Hohe Komplexität bei Global-Mobility-Vergütung
Empfehlungen erhielten die Zuhörerinnen und Zuhörer von Rechtsanwalt Markus Künzel von Advant Beiten und seiner Kollegin Regina Dietel. Sie gaben insbesondere Tipps rund um Global Mobility. So riet Künzel den Unternehmensvertreterinnen und -vertretern: „Beschränken Sie sich bei Auslandstätigkeiten, wenn es geht, auf einzelne Länder.“ Schließlich müssten Unternehmen unterschiedliche und teils komplexe rechtliche Vorschriften unter anderem zu Sozial- und Krankenversicherung und zum Steuerrecht beachten, wenn sie Arbeitskräfte im Ausland beschäftigen. Nicht einmal innerhalb der EU-Länder seien Vorschriften dazu vereinheitlicht. „Kein Fall ist wie der andere. Sie müssen immer den Einzelfall bewerten“, fasste Dietel zusammen.
Andere Sorgen haben mutmaßlich die meisten Beschäftigten bei der Jolmes Gruppe. Bei dem ostwestfälischen Familienunternehmen arbeiten vor allem Gebäudereinigungskräfte sowie Handwerkerinnen und Handwerker. Die Fluktuation sei relativ hoch, erklärte Henning Jolmes aus der Unternehmerfamilie. Auch deshalb sei er froh, dass in der Lösung „Whistle.Law“, die das Unternehmen zur Erfüllung der wohl noch in diesem Jahr in Kraft tretenden Pflicht zum Hinweisgeberschutz einsetzt, unter anderem eine Kummerkasten-Funktion integriert sei. Über diese können Beschäftigte auch Verbesserungsvorschläge jenseits juristisch relevanter Vergehen des Unternehmens melden. Weil die Unternehmensgruppe – wie bei Softwareprodukten nicht unüblich – leicht hinter dem Zeitplan liegt, konnte Jolmes zwar noch keine Zahlen nennen, ob die Fluktuation durch das neue Tool tatsächlich sinkt. Doch Johannes Jakob, Geschäftsführer von Whistle.Law, machte ihm Mut: „Diese Funktion wird in den Unternehmen, die das System schon länger verwenden von den Mitarbeitenden auch genutzt – häufiger als die rechtlich geforderte Hinweisfunktion.“
Fairness vor Transparenz
Ikea sammelt unterdessen auch heute schon Input aus der Belegschaft, um als Einzelhändler seine Arbeitgeberattraktivität erhöhen zu können. Dazu nutzt der Konzern etwa Offboarding-Gespräche und Mitarbeiterbefragungen. Dies sei umso wichtiger, weil die Einzelhandelsbranche von den Talenten als wenig attraktiv wahrgenommen werde, wie Nicole Peper, Country People & Culture Manager bei Ikea Deutschland, ausführte. Das Unternehmen sei unter anderem dabei, für diejenigen, die nicht im Homeoffice arbeiten können, so viel Flexibilität wie möglich anzubieten – bis hin zu einer Viertagewoche.
Auch das Paket an Nebenleistungen stellt Ikea derzeit auf den Prüfstand. „Ziel ist es, den Mitarbeitenden pro Jahr eine Summe X zur Verfügung zu stellen“, erläuterte Peper. Mit dieser könnten sich die Talente flexibel und individuell Leistungen aus einem Benefits-Portfolio auswählen. Das sei transparent, fair und überdies attraktiv für alle, weil eben nicht jeder die gleichen Bedürfnisse habe.
Transparenz, auch darauf hatte Claus Vormann in seiner Keynote hingewiesen, kann allerdings ebenso zu Unzufriedenheit führen. Dann nämlich, wenn sie bestehende Ungerechtigkeiten offenlegt. „Berücksichtigt die individuelle Vergütungsstruktur in euren Unternehmen und entscheidet dann, ob ihr den Schritt Richtung Entgelttransparenz geht“, riet er daher. Anders ausgedrückt: Manch ein Unternehmen sollte erst einmal für mehr Fairness sorgen, bevor es transparent wird.
