Wir haben für Teil 35 unserer Kolumne „So ist’s Arbeitsrecht” bei Till Heimann, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei KLIEMT.Arbeitsrecht, nachgefragt, welche rechtlichen Vorgaben zur Nachhaltigkeit anstehen.
Welche neuen Nachhaltigkeitspflichten kommen 2023 auf HR zu?
Till Heimann: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz LKSG, tritt zum Jahreswechsel in Kraft. Es verpflichtet Unternehmen dazu, umwelt- und sozialbezogene Risiken zu identifizieren, sie abzustellen und dafür Präventionsmaßnahmen zu definieren. Sie sollen sich beispielsweise mit HR-Themen wie Kinder- oder Zwangsarbeit, Diskriminierung und Mindestarbeitsbedingungen beschäftigen. Auch müssen Unternehmen jährlich Bericht zu ihrer Menschenrechtsstrategie erstatten.
Woran müssen Unternehmen sich da konkret orientieren?
Das LKSG nimmt auf verschiedene Standards Bezug. Das sind beispielsweise internationale Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, etwa hinsichtlich zulässigen Mindestalters für die Zulassung zur Beschäftigung. Das LKSG verweist aber auch auf nationale Bestimmungen, etwa zum Arbeitsschutz.
Gilt diese neue Pflicht für alle deutsche Unternehmen?
Nicht sofort, sie ist gestaffelt. Zum 1. Januar 2023 werden Unternehmen verpflichtet, die mindestens 3.000 Beschäftigte im Inland haben. Ab 2024 dann auch jene mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern.
Und danach? Die meisten deutschen Unternehmen haben ja weniger als 250 Beschäftigte.
Kleinere Unternehmen mit weniger als 1.000 Arbeitnehmern unterliegen dem LKSG nicht unmittelbar. Dass diese dann nicht tätig werden müssten, ist aber ein Trugschluss. Es heißt ja nicht ohne Grund Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Unternehmen müssen auch die Standards ihrer Zulieferer und Lieferanten überprüfen. Diese müssen dann natürlich auch diese Informationen liefern können. Mittelbar sind also viel mehr Unternehmen betroffen.
Sind diese mitbetroffenen Unternehmen denn darauf vorbereitet, wenn sie das Gesetz selbst nicht in die Pflicht nimmt?
Viele von ihnen, gerade sehr kleine Unternehmen, haben gar nicht die notwendigen Daten vorliegen, da sie generell keine hohen Compliance-Anforderungen haben. Oder es fehlen dort einfach die Ressourcen für so eine Aufgabe. Unternehmen behelfen sich daher teilweise damit, vergleichbare Zulieferer in Cluster zusammenzufassen und für diese dann Risiken und Maßnahmen zu bestimmen. Der Aufwand wäre sonst immens hoch. In der Textilindustrie etwa können Hersteller gerne einmal tausende Zulieferer haben.
Und das Gesetz erlaubt, dass Unternehmen nicht jeden einzelnen Zulieferer überprüfen?
Nun, das Gesetz macht klare Vorgaben: Unternehmen müssen die Einhaltung der Standards sicherstellen. Wie sie das tun, ist ihnen nicht im Detail vorgeschrieben. Insoweit kann man natürlich Zulieferer mit vergleichbaren Situationen gleich betrachten. Das Risiko, dass es dann doch spezifische Risiken im Einzelfall gibt, bleibt – aber natürlich ist eine Risikoanalyse nach „typischen“ Risiken besser, als sich einer Analyse komplett zu verweigern, weil sie „nicht leistbar“ sei. Dieses Argument akzeptiert das LKSG nun einmal nicht.
Was sind Herausforderungen bei der Umsetzung von ESG-Themen wie dem LKSG?
Häufiges Problem sind unterschiedliche Zuständigkeiten für einzelne Themenkreise. Es droht eine Zerfaserung der Verantwortlichkeiten – die Geschäftsführung, die die Nachhaltigkeitsstrategie vorantreibt, andererseits aber auch HR, Rechtsabteilung, Compliance, Sustainability Officers oder auch einen Menschenrechtsbeauftragten. Diese müssen zusammengebracht und ihre Anstrengungen zu einer einheitlichen Strategie vereint werden.
Was genau macht ein Menschenrechtsbeauftragter oder eine Menschenrechtsbeauftragte?
Das LKSG verlangt, dass Unternehmen Kontrollmechanismen etablieren, die sicherstellen, dass gesetzliche Pflichten – Risikoanalyse, Präventions- und Abhilfemaßnahmen – auch umgesetzt werden. Es soll nicht bei dem Jahresbericht bleiben und unterjährig macht man, was man will. Eine gesetzlich vorgesehene Möglichkeit ist, die Rolle eines Beauftragten einzurichten, der sich um die menschenrechtlichen Themen kümmert. Das ist keine Pflicht und es muss auch nicht nur eine Person sein. Die Rolle berichtet direkt an die Geschäftsführung. Wo sie angesiedelt ist, steht den Unternehmen frei. Am besten hängt sie aber nicht bei einer der beteiligten Abteilungen, um sie auch wirklich ein objektives Auge darauf haben zu können.
Haften Manager für den Inhalt des jährlichen Berichts?
Aktuell ist noch keine unmittelbare Managerhaftung vorgesehen, es haften zunächst die Unternehmen. Von Seiten der EU gibt es aber Vorschläge zu einer Richtlinie, die auch die jeweiligen Akteure in Verantwortung nehmen sollen.
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz oder dem Arbeitsschutz hatte HR ja schon immer auch Nachhaltigkeitsthemen auf dem Tisch. Was ändert sich nun?
Es gibt mehr gesellschaftlichen und regulatorischen Druck. Und es wird stärker auf Arbeitsbedingungen im internationalen Quervergleich geschaut, etwa das Thema Mitbestimmung in anderen Ländern. Unternehmen werden stärker auf länderübergreifende Mindeststandards achten müssen.
Mit welchen Kennzahlen können oder sollten HR-Abteilungen bei der Nachhaltigkeit arbeiten?
Das ist eine der schwierigsten Fragen in diesem Themenkomplex. Es gibt keine One-size-fits-all-Lösung, jedes Unternehmen muss KPIs wählen, die zu seinem Geschäftsmodell und den Tätigkeiten passen. Haben Unternehmen zum Beispiel IT-Entwickler und -Entwicklerinnen in ihrer Belegschaft, könnten sie als Ziel vorgeben, dass Codes so geschrieben werden, dass die Software möglichst ressourcensparend läuft. Man muss hier stärker out of the box denken als früher. Solche Ziele könnten dann, und spätestens hier beginnt die Rolle von HR, auch mit (gerade langfristigen) Vergütungsmodellen verknüpft werden.
Was genau meint hier „langfristiges Vergütungsmodell“?
Klassische Zielvereinbarungen waren immer auf das Jahr gerichtet. Das verleitet natürlich manche auch dazu, nur darauf hinzuarbeiten, Kennzahlen kurzfristig zu erreichen. Hauptsache, der Bonus ist verdient. Bei einer langfristigen Vergütungsstrategie geht es dann eher darum, wie sich Leistungsbeiträge über einen längeren Zeitraum auswirken. Ist ein neues Geschäftsmodell dauerhaft überlebensfähig, kann der CO2-Ausstoß dauerhaft gesenkt werden? Solche Themen also.
Und die Boni beziehen sich dann nicht nur auf ein Jahr, ungeachtet dessen, was vorher und nachher ist?
So kann man das ausgestalten. Wenn es für die Auszahlung keine Rolle spielt, ob jemand bei einem Unternehmen noch beschäftigt ist oder nicht, sondern nur davon, wie sich ein Beitrag langfristig auswirkt, dann denken die Beschäftigten anders über ihre Arbeit nach. Man kann etwa Bonuszahlungen mit einer herausgeschobenen Fälligkeit koppeln. HR bekommt auch in diesem Kontext eine viel bedeutendere Rolle.
Inwiefern? Vergütungsmodelle hat HR doch auch schon vor dem Thema ESG verantwortet.
Ja, aber nun kann und muss die Personalabteilung sehr viel strategischer unterwegs sein und überlegen: Welche Modelle zahlen auf die Nachhaltigkeit meines Unternehmens ein? Bei einem Katalog an Benefits beispielsweise geht es jetzt eben nicht mehr nur darum, was die Belegschaft nachfragt oder nicht (und was wieder gestrichen wird). Auch die Benefits sollten sich nach der Nachhaltigkeitsstrategie auf oberster Ebene richten und bei HR liegt unter anderem die Expertise, diese umzusetzen. Investiere ich lieber in eine Betriebsrente, die Angestellte vor der Altersarmut schützen kann, oder einen Firmenwagen? Das kann kaum jemand besser einschätzen als HR, und entsprechend bei der Umsetzung des „S“ im ESG in den Lead gehen.
Welche weiteren gesetzlichen Regelungen werden neben dem LKSG noch eingeführt?
Zum einen das Hinweisgeberschutzgesetz, das vermutlich im ersten Quartal 2023 verabschiedet wird. Viele Unternehmen nutzen die Vorgabe, ein Whistleblowingsystem einführen zu müssen, als Gelegenheit, dort auch die Verstöße gegen LKSG-Pflichten oder andere arbeitsplatzbezogene Pflichtverletzungen zu integrieren. Dort können natürlich auch Lieferanten und Kunden Meldungen abgeben. Und dann, das passiert aber erst Anfang 2024, wird die Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie (CSRD) in Kraft treten.
Worum geht es bei der CSRD?
Die Richtlinie betrifft die nicht-finanzielle Berichterstattung zur Nachhaltigkeit im Rahmen des jährlichen Geschäftsberichtes. Sie ersetzt die bisherige Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie NFRD. Die Berichterstattung beinhaltet viele HR-relevante Themen, etwa wie frühzeitig die Arbeitnehmervertretung eingebunden wird und wie konfliktträchtig das Verhältnis ist. Aber auch, wie Arbeitsbedingungen von Freelancern im Verhältnis zu Arbeitnehmern gestaltet werden, um ein paar Themen zu nennen. Wer hier schlecht abschneidet, wird in ESG-Ratings abgewertet und wird dann größere Schwierigkeiten haben, Geld am Kapitalmarkt zu bekommen.
Und für wen gilt sie?
Auch das ist gestaffelt. Ab 1. Januar 2024 gilt sie für große kapitalmarktorientierte Unternehmen, also solche mit über 500 Arbeitnehmern, sowie Banken und Versicherungen. Ab 1. Januar 2025 fallen bei bestimmten Umsatzkennzahlen dann auch Unternehmen mit mehr als 250 Arbeitnehmern rein, und ab 1. Januar 2026 auch kleine und mittlere Unternehmen ab zehn Arbeitnehmern. Auch ausländische Unternehmen mit substantiellen Geschäftsaktivitäten in der EU werden berichten müssen.
Gesine Wagner ist hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik und ist Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem schreibt Sie über Recruiting und Employer Branding.