Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

Männerdominierte Branchen: Wie gelangen Frauen in die Führung?

„Ich kann mich an kein Meeting auf der Manager-Ebene erinnern, bei dem andere Frauen als ich im Raum waren“, sagt Begoña Jara. Sie ist VP Deutschland und Österreich für das Software-Unternehmen Pure Storage und arbeitet seit 23 Jahren als Führungskraft in der IT-Branche. Ihre Aussage verdeutlicht, wie es um den Anteil der Frauen in Führungspositionen im IT-Bereich steht: schlecht. Damit ist der IT-Sektor nicht alleine. Auch in der Finanz- sowie der Logistikbranche sind Frauen auf den oberen Positionen eine Seltenheit. Wie können Arbeitgeber in genau diesen männerdominierten Bereichen dafür sorgen, dass Frauen Führungskräfte werden?

Wer Frauen an der Spitze von Unternehmen haben möchte, sollte ihre Anzahl auf den niedrigeren Hierarchieleveln erhöhen. Dieser Schritt muss in der IT-Branche noch gegangen werden. Wie eine Studie von Le Wagon und Honeypot zeigt, sind nur 28 Prozent aller Beschäftigten in der europäischen IT-Branche weiblich. Das kann daran liegen, dass Frauen tendenziell weniger häufig zu Vorstellungsgesprächen für Positionen im Technologiesektor eingeladen werden. So wurden 2022 nur 16 Prozent der Frauen, die auf der europäischen IT-Plattform Honeypot angemeldet sind, zu einem ersten Kennenlernen in IT-Unternehmen eingeladen. Bei den Männern waren es 84 Prozent.

Der Zugang zur Branche wird Frauen folglich immer noch zu einem gewissen Teil verwehrt. Und das wirkt sich auf die Anzahl der weiblichen Führungskräfte in der IT-Branche aus. Laut einer Untersuchung des IT-Branchenverbands Bitkom gab es 2022 in 49 Prozent der IT-Unternehmen keine Frau im Top-Management.

In die Leistung der Frauen vertrauen

Bei Pure Storage, wo Begoña Jara als Regional Vice President an der Spitze ist, sieht die Lage besser aus. Jara ist überzeugt: Frauen können in der IT-Branche gut Karriere machen, wenn nur die richtigen Rahmenbedingungen vorzufinden sind. Für Jara ist es zum einen die notwendige Einstellung der Geschäftsführung, Mitarbeitende nach ihrem Talent und nicht nach ihrem Geschlecht auszuwählen. Zum anderen müsste Flexibilität geboten werden – vor allem, wenn man auch Mütter für sich gewinnen möchte. Und letztendlich müssen Arbeitgeber und Führungskräfte an die entsprechende Frau glauben und darauf vertrauen, dass sie in vielen Fällen gleichzeitig ihr Privatleben inklusive Familie managt.

Das richtige Mindset müsse aber auch bei den Frauen selbst vorhanden sein, damit sie in männerdominierten Branchen als Führungskräfte tätig sein können. Verwirrung beim Gegenüber, weil dieser plötzlich eine weibliche Führungskraft als Kollegin oder als Vorgesetzte hat, müssten Frauen selbstbewusst aushalten. „Natürlich gibt es Männer, die lieber mit anderen Männern zusammenarbeiten“, sagt Jara. „Daran gewöhnt man sich aber und wird resilient dagegen.“ Wer sich als Frau seiner selbst sicher sei und der eigenen Leistung vertraut, lasse sich nicht von unangemessenen Kommentaren aus dem Ruder reißen.

Hierbei half Jara auch, dass ihr Team schrittweise wahrnahm, welche Führungseigenschaft sie als Frau mitbringt, die tendenziell bei Männern – auch aufgrund der Sozialisation – nicht immer so stark vorhanden seien, wie bei Frauen: „Wir gehen mit Konflikten oftmals pragmatischer um und haben mehr Empathie“, sagt sie. „Das fördert die Zusammenarbeit im Unternehmen und bereichert das Geschäft.“ Das heißt für Jara aber keinesfalls, dass sie bei ihren eigenen Vorstellungen Kompromisse macht. Für sie war immer klar: Sie will Karriere machen und Nachwuchs haben – in ihrem Fall sind es fünf Kinder geworden.

Vereinbarkeit gewährleisten

Karrierefrau und Mutter kann die Vice President nur sein, weil sie Kinderbetreuungsangebote in Anspruch nimmt. Dies ist eine Komponente, die es Frauen erleichtert, Führungspositionen anzunehmen. Jara gelang es nach dem Mutterschutz wieder in Vollzeit zu arbeiten, weil sie Zuhause eine Kinderbetreuung und Haushaltshilfe hatte, die ihr die notwendige Flexibilität gaben, Familie und die Anforderungen im Beruf unter einen Hut zu bekommen. Denn auch ihr Mann arbeitete durchgehend in Vollzeit.

In Deutschland sei es herausfordernd gewesen, die Kinderbetreuung zu gewährleisten, was wiederum erfordere, dass ihr Arbeitgeber ihr eine hohe Flexibilität gewährleistete – sowohl zeitlich als auch örtlich. „Die Firma muss eine Umgebung schaffen, in der Frauen – aber auch Männer – ihre Karriere und ihr Privatleben kombinieren können“, sagt Jara.


Was Jara bei Pure Storage ist, fehlt vielen Frauen in der Finanzwelt: das Vorbild einer weiblichen Führungskraft, die es ganz an die Spitze geschafft hat. „Das Finanzwesen ist ein traditionell von Männern dominierter Bereich, in dem Männer gegenüber gleich oder besser qualifizierten Frauen traditionell bevorzugt befördert wurden“, sagt Martina Hoffard, Head of Marketing beim Finanzinstitut Spectrum Markets. Die Frauen, die dennoch ausgewählt werden, sind – wie auch Begoña Jara in der IT-Branche – weitestgehend auf sich alleine gestellt, vor allem je höher sie die Karriereleiter nach oben klettern.

Es braucht weibliche Vorbilder

Laut einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) von Ende vergangenen Jahres lag der Frauenanteil in den Vorständen der 50 größten börsennotierten Banken in Europa Ende 2021 bei 22 Prozent. Dementsprechend gibt es laut Hoffard im Finanzsektor verhältnismäßig wenige Mentorinnen oder der Chefinnen, die einen Weg vorgeben. „Es ist ein Teufelskreis, in dem ein Mangel an Vorbildern zu weniger Möglichkeiten für Frauen führt, das nächste Vorbild zu werden“, sagt Hoffard.

Sich nur darauf zu fokussieren, Frauen in Führungspositionen zu bringen, damit ihnen mehr weibliche Talente folgen, reiche allerdings nicht aus. „Wenn wir uns nur auf Frauen in Führungspositionen konzentrieren, behandeln wir immer noch ein Symptom und nicht die Ursache“, sagt Hoffard.

Es sei vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Frauen verstärkt Zugang zur Finanzwelt zu ermöglichen. Hier sei Geld die Schlüsselkomponente. Wenn Frauen mehr Geld zur Verfügung hätten, würden sie mehr investieren und sich dafür mehr mit Finanzthemen beschäftigen. Eine mögliche Distanz zur Branche würde ihnen damit genommen und der Sprung zur Karriere in der Finanzwelt sei nicht mehr so groß, wie er es bisher noch für viele weibliche Talente sei.

Ein faires Gehalt zahlen

Geld fungiert laut Hoffard nicht nur als Einstiegstor in die Branche, sondern auch als Motivator, um Karriere zu machen. Dafür müssen Frauen im Finanzsektor allerdings genau so viel verdienen, wie ihre männlichen Kollegen. Das ist derzeit nicht der Fall, wie der Gender Pay Gap im Finanzwesen zeigt. Laut einer Auswertung von vergleich.org aus dem vergangenen Jahr gehört der Bankensektor zu den Branchen mit dem höchsten Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern. Demnach verdienen Bankkauffrauen rund 23 Prozent weniger als ihre Kollegen. Im Vergleich hierzu lag der allgemeine Gender Pay Gap 2022 über alle Branchen hinweg bei 18 Prozent.

Wer als Arbeitgeber seinen Mitarbeiterinnen Flexibilität bietet, ein faires Gehalt zahlt und an sie als Führungskräfte glaubt, legt schon einmal eine gute Basis. Doch Taten bleiben manchmal unbemerkt, wenn man sie nicht im großen Stile kommuniziert. Dazu hat sich die Deutsche Bahn (DB) entschlossen und nennt sich für einen Monat pro Jahr in „Arbeitgeberin“ um. So will das Logistikunternehmen mehr Frauen rekrutieren – auch für Führungspositionen.

Frauen lauthals willkommen heißen

Im vergangenen Jahr hat die Deutsche Bahn erstmals einen Aktionsmonat eingeführt, in dem mehrere Veranstaltungen und Kampagnen für das Recruiting von Frauen – auch gezielt für Führungspositionen – stattfinden. So auch in diesem Jahr. Generell soll der Monat laut DB-Personalvorstand Martin Seiler zeigen, dass Frauen beim Logistikunternehmen gebraucht werden, um dessen zukünftiges Wachstum zu gestalten.

Neben der Kampagne analysiert das Unternehmen eigenen Aussagen nach regelmäßig die Geschlechterverteilung in der Belegschaft, aber auch im Bewerbungsprozess. Das Ziel: Bis 2024 sollen 30 Prozent aller Führungskräfte bei der Deutschen Bahn Frauen sein – derzeit sind es 27 Prozent – und bei der Besetzung von oberen Führungspositionen muss mindestens eine Frau auf der Shortlist stehen.

Doch Frauenförderung endet laut dem Logistikunternehmen nicht mit einem erfolgreichen Recruiting, sondern gehe mit einer gezielten Karriereentwicklung innerhalb der Organisation weiter. So gibt es bei der Deutschen Bahn ein Entwicklungsprogramm für die Karriereplanung inklusive Coaching und Patenschaft durch eine DB-Führungskraft für Frauen. Jede Führungskraft sei darüber hinaus dazu aufgerufen, „einen Leistungsbeitrag für mehr Frauen in Führung“ zu erbringen.

Aus den Branchenbeispielen wird klar: Frauenförderung muss allumfassend gedacht werden. Denn sonst sitzen Führungskräfte in männerdominierten Branchen – wie Begoña Jara – weiterhin als einzige Frau am Managementtisch.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.