„Nicht Technologien verändern die Welt, sondern die Art, wie wir Menschen sie nutzen“, sagte Sascha Lobo. „Erfolgreiche Transformation kommt aus dem Inneren.“ Dass der Mensch im Mittelpunkt steht, betonte er immer wieder: „Wir sagen, wir stehen im Stau, dabei sind wir der Stau.“ Dieses Bild treffe auch auf die Transformation zu: „Ihr erlebt nicht die Transformation, nein, ihr seid die Transformation.“
Mit solchen Aussagen kam der Autor, Blogger und Digitalexperte natürlich gut an auf der Copetri Convention, einer Konferenz und Messe für Personaler und Personalerinnen, New Worker und New Workerinnen und viele andere, die sich für die HR-Themen People, Transformation und Innovation interessieren. Sie fand in dieser Woche zum ersten Mal statt. Rund 2500 Gäste kamen laut der Veranstalter Nadine Jäger und Ralf Hocke zum alten Industriestandort Fredenhagen in Offenbach am Main.
Lobos Aussagen pflichtete auch seine Gesprächspartnerin Vera Demary, Leiterin Kompetenzfeld Digitalisierung, Strukturwandel und Wettbewerb am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, bei: „Wir sind alle hier, weil Vernetzung wichtig ist, aber die Unternehmen sind noch sehr langsam.“ Sie könnten die digitale Ungeduld der Nutzer, die „Sofortness“, wie Lobo es nannte, nicht bedienen. Der dritte Diskutant, Stephan Fischer, Professor für Personalmanagement und Organisationsberatung an der Hochschule Pforzheim, lieferte einen möglichen Grund dafür: Die Transformation könne nicht nur von den Mitarbeitern kommen, wir müssten sie auf drei Ebenen betrachten: „Es gibt eine Mikro-, eine Meso- und eine Makroebene: Die Mitarbeiter müssen sich mit der Transformation beschäftigen; wir erfahren die Transformation auf Unternehmensebene zum Beispiel mit New Work; und die Unternehmen müssen sich mit der Umwelt verändern und sich anpassen.“
Große Aufmerksamkeit bekam auch Keynote von Atruvia-Personalvorstand Jörg Staff. Er zeigte den konsequenten Transformationsweg des IT-Dienstleisters auf: Mit einer neuen, vom Vorstand getragenen Unternehmensvision ist es gelungen, ein klassisch organisiertes Unternehmen zu einem agilen Unternehmen zu wandeln. Eine verteilte Führung mit Tribe-Lead und People Lead ersetzt die hierarchische Führungsstruktur, die Employee Experience steht im Mittelpunkt der Personalarbeit. „Zeit für People first“, fasste Staff auf der Bühne zusammen. HR-Prozesse zu professionalisieren, reiche nicht mehr aus. Die integrierte People-Funktion habe bei Atruvia zu deutlich besseren Engagement-Werten geführt, parallel seien mit einer deutlich verbesserten Customer Experience die Umsätze des Unternehmens überdurchschnittlich gestiegen.
Das Wir-Gefühl
Ganz handfest und mit Auswirkungen auf jeden einzelnen Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin zeigt sich die Transformation und Digitalisierung beim Thema Remote Work. Auch das wurde bei der CoCon22, wie die Veranstalter das Event abkürzen, ausgiebig diskutiert. Nach den Corona-Lockdowns, in denen natürlich fast alle Beschäftigten von zu Hause arbeiteten, habe man nicht zurück zum alten Modell gewollt, sagte etwa Tobias Salzmann, Geschäftsführer der Ärztlichen Unternehmensgruppe Büdingen. Heute könnten die meisten Mitarbeitenden daher bis zu drei Tage von zu Hause arbeiten – wobei bei den fünf zur Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmen mit fünf verschiedenen Unternehmenskulturen eine Regel für alle wenig Sinn ergebe, nicht einmal innerhalb eines Unternehmens: „In der IT macht vielleicht die eine Regel Sinn, in der Buchhaltung eine andere“, sagt Salzmann.
Dem stimmte Teresa Hertwig, Gründerin der spezialisierten Beratung GetRemote sowie Buchautorin, zu. Remote-Regeln seien ein Kulturthema und sollten nicht von oben herab entschieden werden. Natürlich sei es wichtig, das Wir-Gefühl zu stärken, was remote nicht oder nur schwer möglich ist. Doch durch Off-Sites oder Workations bekämen so etwas ja sogar Unternehmen hin, die gar kein zentrales Büro mehr haben, ergänzte Tandemploy-Gründerin Anna Kaiser, die kurzfristig gemeinsam mit Hertwig, Salzmann und Moderator Marcus Merheim auf dem Podium saß. Alleine die drei Stunden Tanzen am ersten Convention-Abend hätten unheimlich viel für die Integration der Tandemploy-Beschäftigten in die neue Unternehmensmutter Phenom gebracht.
Insights und Liegestühle
Überhaupt stand neben den Panels und Vorträgen sowie den Ständen von Dienstleistern und Unternehmen der Austausch und das Networking im Vordergrund der Veranstaltung. Manch einer saß bei bestem Wetter mehr im Liegestuhl oder auf einer Bierbank und unterhielt sich mit all den Menschen, die er in den vergangenen zwei Jahren nur via Teams und Skype gesehen hatte. Was für die Aussteller und Vortragenden vielleicht manchmal etwas schade war, war für viele der Teilnehmenden das Highlight der Veranstaltung – etwas, das momentan recht häufig zu hören ist.
Wer sich zu den „Deep Dive“ genannten Vorträgen oder den Diskussionen traute, bekam aber regelmäßig interessante Insights. Etwa über Nachhaltigkeit, das Titelthema der aktuellen Personalwirtschaft. Professor Torsten Weber von der BS International Business School sprach sich beispielsweise dafür aus, die 17 Sustainable Development Goals der UN als Orientierung zu nutzen. Rupert Felder, Personalchef der Heidelberger Druckmaschinen AG, sagte, die ESG-Kriterien seien sinnvoll als Richtlinie. Nachhaltigkeit müsse ganzheitlich gedacht werden, auch wenn sich HR am meisten beim Punkt „Soziales“ einbringen könne. Miriam Schilling, Bereichsleiterin Mensch und Organisation bei Vaude Sport, fügte hinzu, alle Mitarbeitenden müssten sich einbringen, damit das Unternehmen nachhaltiger agiert. Für HR hieße dies unter anderem, entsprechende Kompetenzen bei den Mitarbeitenden aufzubauen, Benefits an Nachhaltigkeitsziele zu knüpfen, verstärkt in den Austausch mit den Mitarbeitenden zu gehen und Arbeitsplätze offensichtlich nachhaltig zu gestalten. Aus dem Publikum kamen kritische Fragen. Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung wollten wissen: Wie überzeugen wir Kollegen und Kolleginnen und vor allem auch die Geschäftsführung davon, etwas zu ändern? „Weil sie sonst als Unternehmen langfristig nicht überleben“, lautete Felders Antwort darauf.
Linkedin-Prominenz vor Ort
Und natürlich war auch Linkedin-Prominenz wie Cawa Younosi, Global Head of People Experience bei SAP, vor Ort. Er diskutierte unter der Moderation des Personalmagazin-Herausgebers Reiner Straub passenderweise mit Katharina Krentz, Gründerin und Influencerin, über Social Media. Younosi erklärte, wen er mit sozialen Medien erreichen wolle: „Mein primäres Ziel sind die Bestandsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter“, sagte er. „Nutze die Medien, um sie zu informieren. Wenn sie happy sind, spricht sich das auf dem externen Markt herum.“ Krentz nutzt soziale Medien auch für die Stärkung der Arbeitgebermarke: „Über soziale Medien kann man Einblicke in die eigene Arbeit geben, zeigen, was man tut und wie wir es tun, und das aus der Perspektive derer, die es wirklich tun. Das ist für die Darstellung des Unternehmens, für das Employer-Branding, Gold wert.“
Beide sehen aber auch die Grenzen der Kommunikation in sozialen Netzwerken: „Ich poste nur Dinge, zu denen ich wirklich etwas zu sagen habe, weil ich in den Dialog mit den Menschen einsteigen möchte“, sagte Krentz. „Wenn ich zu anderen Themen poste, entgleitet mir das schnell, weil es Menschen gibt, die das besser können.“ Younosi riet dazu, kritisch zu bleiben: „Ein kritischer Blick ist angebracht. Wenn ich nur auf die Klickzahlen achte, entwerte ich die Experten.“
Eine Besonderheit der Veranstaltung waren auch die Runden, in denen die Ergebnisse der sogenannten Copetri-Circles vorgestellt wurden. Dort hatten sich im Vorfeld verschiedene Expertinnen und Experten zusammengetan, um etwa über das Thema New Work nachzudenken – und dies anhand von 15 Dimensionen fassbar zu machen, wobei eine davon auch die Möglichkeit zu Remote Work umfasste. Aber auch „Persoblogger“ Stefan Scheller, Renate Sommer und Philipp Wichert, die einige der Dimensionen vorstellten, legten Wert darauf, dass es nicht für jedes Unternehmen gut oder wichtig sei, sich möglichst weit rechts im Kontinuum zwischen „Old Work“ und „New Work“ einordnen zu können. Sie wollten die Unterscheidung lieber wertfrei vornehmen, Aspekte wie eine schlechte Behandlung der Arbeitnehmer hätten nicht direkt etwas mit New Work zu tun. „Die Lösung für ein toxisches Arbeitsumfeld ist ein nicht-toxisches Arbeitsumfeld“, sagte Berater Wichert. „Nicht ein toxisches New-Work-Umfeld.“
Info
Auch die Personalwirtschaft war mit einer Diskussion auf der Copetri Convention vertreten. Darüber, wie HR in Scale-ups funktioniert und mit dem Unternehmen wächst, sprach unser Herausgeber Erwin Stickling mit Natali Bily, Head of HR and Legal bei Creditshelf, und Isabelle Schourdom, Head of HR bei Wingcopter. Die beiden Personalverantwortlichen betonten, dass HR in ihren Unternehmen eine äußerst wichtige Rolle habe. Das dürfe nicht unterschätzt werden, auch wenn sich junge wachsende Unternehmen viel um Themen wie Finanzierung kümmern müssten. Anders als große Konzerne, in denen beide Personalverantwortlichen zuvor gearbeitet haben, habe ein Start- oder Scale-up zwar auch einen „Koffer voller HR-Werkzeuge“, aber noch kein fertiges Konzept. „Was in einem Start-up fehlt, ist, wirklich Konzepte zu mappen: Wie möchte ich einen Prozess gestalten, zum Beispiel Recruiting? Wir haben angefangen, das erst einmal aufzuschreiben. Das war nicht im Werkzeugkoffer drin, aber das Wissen war da“, sagte Schourdom.
Auch junge Unternehmen müssten der Herausforderung des Fachkräftemangels begegnen. Schourdom gab zu, dass auch ihr Unternehmen vor der Frage stehe, wo es Talente, gerade im Tech-Bereich, gewinnen kann. „Der Markt ist angespannt, aber wir bekommen die Menschen über den Purpose. Die Begeisterung, dass wir es gemeinsam schaffen können, ist das, was die Menschen packt. Das trägt uns.“
Auch Bily sieht in ihrem Unternehmen, dass der Purpose die Menschen motiviert. Zudem versucht Creditshelf, sie über persönliche Momente und Benefits zu halten. „Beim Onboarding treffen die Talente den CEO. Wir stellen die Mission vor – personifiziert durch den Gründer. Der Gründer hält die Kultur zusammen.“ Sie merke aber, dass Mitarbeiterbindung in der heutigen Zeit eine große Herausforderung ist: „Schnelllebigkeit, schnelle Wechsel – das ist eine Generationensache.“ Dem begegnet ihr Unternehmen unter anderem mit Benefits: „Ein Meilenstein ist: Wenn du fünf Jahre dabei bist, bekommst du sechs Wochen zusätzlichen Sabbatical-Urlaub. Das motiviert Talente.“
Auch Tipps hatten die beiden HR-Profis für die HR-Community dabei: „Macht weniger Powerpoint-Slides, macht weniger Politik, seid mutig!“, ermunterte Natalie Bily die Zuhörerinnen und Zuhörer. Schourdom pflichtete dem bei: „Fehler machen ist okay, seid mutig, Menschen einzustellen, die nicht immer super gut, sondern tolle Menschen sind. Habt Vertrauen!“