Personalwirtschaft: Frau Schneider, Sie sind Leiterin der Personalentwicklung beim Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. Wie identifizieren Sie potenzielle Führungskräfte?
Luise Schneider: Wir identifizieren sie vor allem anhand von zwei Kriterien. Die Personen müssen herausragende wissenschaftliche Expertinnen und Experten in ihren jeweiligen Fachgebieten sein. Darüber hinaus sollten sie exzellent darin sein, dieses fachliche Wissen in konkrete Lösungen für unsere Kundinnen und Kunden aus großen oder mittelständischen Unternehmen zu übersetzen. Wir suchen also Talente, die sowohl wissenschaftlich anspruchsvoll vorgehen als auch praktisch denken und an beidem Spaß haben. Aus dieser Gruppe suchen wir dann die aus, die Lust haben, zur Führungskraft ausgebildet zu werden.
Welche konkreten Skills sind für Sie und Ihre Organisation für Führungskräfte entscheidend?
Unsere Führungskräfte müssen in der Lage sein, ihre Mitarbeitenden nicht nur fachlich, sondern auch persönlich zu sehen und aktiv zu entwickeln. Die Fraunhofer Mitarbeitenden sind in der Regel intrinsisch getrieben. Einerseits ist das schön für Führungskräfte, weil sich das Team meist selbst motiviert. Andererseits bedeutet das, dass die Führungskraft sehr viel persönlicher führen muss. Sie muss verstehen, was die Mitarbeitenden individuell erreichen möchten und ihnen Möglichkeiten eröffnen, damit diese ihre eigenen Zielsetzungen bei uns verwirklichen können.
Was heißt das in der Praxis?
Konkret bedeutet das, dass die Führungskräfte ausgezeichnete Kommunikatorinnen und Kommunikatoren sein müssen, sie sollten in Gesprächen auch leise Störungen wahrnehmen und sie sollten fachliche Jours Fixes dazu einsetzen können, die Mitarbeitenden „on the Job“ entlang ihrer individuellen Lernziele zu unterstützen. Das ist wirklich herausfordernd und braucht sehr viel Bereitschaft, sich auf das Gegenüber einzulassen und aufmerksam mitzudenken. Es braucht hier einerseits Geschick – das auch erlernt werden kann – in der Interaktion und andererseits die Fähigkeit, Führungsaufgaben und strategische Aufgaben zu jonglieren.
Sind das alle Fähigkeiten, die Führungskräfte brauchen?
Natürlich ist auch bei uns wichtig, dass Führungskräfte wissen, wie die Organisation funktioniert. Sie müssen strategisch denken und ihr Team in der Strategie mitnehmen, hier ist ein fachliches Vorausdenken gefragt. Und natürlich sollten sie sich als Vorbild verstehen. Auf all diese Dinge müssen Führungskräfte Lust haben – und diese Lust muss meist erst entdeckt werden. Wir denken aber, dass wir diese Skills eher entwickeln können als wissenschaftliches Können auf hohem Niveau – denn das können die Kolleginnen und Kollegen nicht in absehbarer Zeit nachholen.
Wie gehen Sie konkret bei der Führungskräfteentwicklung (FKE) vor?
Unsere Führungskräfte starten von sehr unterschiedlichen Skill-Levels. Darum legen wir gemeinsam mit der Personalentwicklung, der Kandidatin oder dem Kandidaten sowie den Personalvorgesetzten einen Entwicklungsplan mit individuellen Lernzielen an. Dieser berücksichtigt das Rollenmodell, die individuelle Leistungserwartung und das aktuelle Leistungsfeedback. Dieser Entwicklungsplan wird in der Abteilung und in der FKE zur Richtschnur für Tätigkeiten und Trainingsschwerpunkte. Die Trainings, inklusive aller Rollenspiele, sind auf die Lernziele der Individuen maßgeschneidert. In 14 Modulen trainieren wir alle Führungsnachwuchskräfte gemeinsam entlang der Kern-Führungs-Skills.
Die Lerninhalte sind also sehr individualisiert?
Ja. Um die individuellen Bedarfe genau zu treffen, schreiben wir für alle Teilnehmenden jeweils eigene Szenarios, die ihre Arbeitsrealität abbilden. Damit möchten wir den Transfer des Gelernten in den Arbeitsalltag sicherstellen. Dieser Entwicklungsplan und die Trainings werden während des Prozesses mit der Personalentwicklung und den Personalvorgesetzten in drei bis vier Reflexionsgesprächen – wir nennen sie Meilensteingespräche – angepasst.
Sieht diese hoch individualisierte Führungskräfte Entwicklung auch Theorieteile vor?
Ja, die Theorieteile werden den Trainings vorgelagert und in E-Learnings oder Vorbereitungsaufgaben abgebildet, so dass die Teilnehmenden bis zu zwei Tage Vorbereitung leisten, bevor sie mit den Praxisübungen starten. Das wiederum gibt uns in den Trainings Zeit für persönliches Feedback und die Möglichkeit, über den Transfer zu sprechen – was immer erst dann geht, wenn die Inhalte wirklich verstanden sind. Darüber hinaus erhalten die Teilnehmenden individuelle Coachings, flankierende Zusatzmentorings oder Trainings, wenn die Verbesserungen innerhalb der FKE aus Sicht aller Beteiligter noch nicht genug voran geht. Zusätzlich bekommen die Vorgesetzten immer wieder Hilfestellungen, welche Übungen aus der Entwicklung im Arbeitsalltag angewendet werden können.
Hat sich das Modell bewährt?
Das ist definitiv der Fall, wir konnten die Veränderungen im Verhalten der Teilnehmenden beobachten. Die intensive Arbeit an einzelnen Themen und deren Erprobung und Transfer im und in den Arbeitsalltag haben sich bewährt. Durch das Wechselspiel zwischen Übungsraum und Realität konnten wir außerdem bei Bedarf nachsteuern. Dies hat zu erheblichen Verbesserungen geführt.
Welches Feedback bekommen Sie von Teilnehmenden?
Die Teilnehmenden hatten nach dieser intensiven Zeit eine Art Klassenfahrt-Gefühl, das gibt es ja häufig bei Lerngruppen. Allerdings haben sie sich tatsächlich sehr intensiv und nahbar über ihre individuellen Lernziele ausgetauscht und sich intensiv gegenseitig immer wieder Feedback gegeben. Die Gruppe hat entschieden, sich weiterhin alle paar Monate für zwei Tage zu treffen, um weiterhin miteinander zu lernen, im Kontakt zu bleiben und gemeinsame Projekte konzentriert anzuschieben. Das finden wir natürlich toll und begleiten es gerne. Ein lebendiges Netzwerk aus jungen Führungskräften zu haben, ist ein Geschenk, über das wir uns sehr freuen.
Tim Stakenborg verantwortet die Heftplanung des Magazins Personalwirtschaft. Zudem betreut er das Thema Aus- und Weiterbildung (inklusive MBA und E-Learning) und beschäftigt sich mit dem Bereich Employee Experience und Retention.