„Wir sprechen gern über Dinge, die sonst nur hinter verschlossenen Türen stattfinden.“ Das ist einer der Slogans von Goldeimer. Der gilt nicht nur für die Geschäftsidee des gemeinnützigen Unternehmens – es bietet ökologisch nachhaltige Trockentoiletten für Festivals an, vertreibt ein Toilettenpapier aus recyceltem Karton und möchte mit seinen Erlösen dazu beitragen, dass alle Menschen weltweit Zugang zu sanitären Anlagen haben –, sondern er gilt auch für das Gehaltsmodell: Gehalt ist kein Tabu, und bei der Entwicklung des Vergütungsmodells durften alle Mitarbeitenden mitreden.
Schon seit seiner Gründung 2014 experimentiert das Unternehmen mit verschiedenen Gehaltsmodellen. „2021 haben wir unser Modell das erste Mal öffentlich gemacht“, erinnert sich Tanja Wente, die bei Goldeimer für Kommunikation und Storytelling zuständig ist und maßgeblich an der Entwicklung eines aus Sicht der Mitarbeitenden fairen Gehalts beteiligt war. Bereits ein Jahr später habe das Unternehmen das Modell in einem partizipativen Prozess noch einmal auf den Prüfstand gestellt. „Uns war klar, dass es das perfekte Gehaltsmodell nicht geben wird.“ Doch der Anspruch sei gewesen, dass die Bezahlung fair, transparent und nachvollziehbar ist.
Dabei stellten sich die Mitarbeitenden die Frage, was für sie ein faires Gehalt ist. Das Ergebnis: Fair und gerecht sind zwei verschiedene Dinge. Fairness bedeutet, dass Menschen gleich behandelt werden. Gerechtigkeit heißt, dass alle behandelt werden, wie sie es verdienen. „Wir haben für uns entschieden, dass das Gehaltsmodell nicht allen Bedürfnissen und Lebensumständen gerecht werden kann. Aber es kann fair sein“, sagt Wente.
Gehaltsmodell gemeinsam entwickelt
Damit entstand eine Matrix, die auf drei Bausteinen basiert:
- Sockelbetrag
- Kompetenzen oder Hard Facts
- Verantwortungsgrad
Der Sockelbetrag liegt derzeit bei 1.800 Euro und bildet die Basis, zu der weitere Gehaltsbestandsteile je nach Kompetenzen und Verantwortungsgrad hinzugerechnet werden.
Darüber, was Menschen verdienen sollen, haben die Goldeimer-Mitarbeitenden viel diskutiert. Sie stellten sich Fragen wie: „Welche Lebenskosten nehmen wir als Grundlage, wenn manche Teammitglieder in Hamburg, andere in Leipzig wohnen?“, „Soll das Gehalt den Konsum von Bio-Produkten abdecken?“ und „Wie viel Sparpotential oder Altersvorsorge soll es enthalten?“. Auch diskutierten sie, ob Familienaspekte berücksichtigt werden sollten. Am Ende der Diskussion einigten sich die Beteiligten, dass sich das Gehalt an den durchschnittlichen Lebenskosten für einen Single-Haushalt in Metropolregionen orientieren soll. Das ergab ein Mindestbruttogehalt für eine Vollzeitstelle von 2.700 Euro.
Falls das errechnete Gehalt aus den drei Komponenten bei einem Talent unterhalb dieses Betrags liegen sollte, etwa weil es als Berufsanfänger wenig Erfahrung mitbringt, erhält es trotzdem diesen Betrag als „soziales Gehalt“. „Das soll jedem Mitarbeitenden ein finanziell sorgenfreies Leben garantieren“, erklärt Sarah Kociok, die als Team-Facilitation den Gehaltsprozess bei Goldeimer begleitet. Zudem gibt es eine „Plus-eins-Regel“: Wenn eine Person mindestens eine weitere im Haushalt mitversorgt, bekommt sie einen Zuschlag in Höhe des staatlichen Kindergeldes. „Für diese Regelung haben wir uns Zeit genommen. Hätte eine Person ein Veto eingelegt, hätten wir diesen Baustein nicht umgesetzt“, erklärt Kociok.
Bei den Hard Facts, dem zweiten Baustein, werden Ausbildung, Berufserfahrungen und weitere Qualifikationen, die eine Person mit in ihre Rollen und in die Organisation einbringt, berücksichtigt. Auch ehrenamtlichem Engagement oder freien Projekten wird ein Wert zugeschrieben.
Der dritte Baustein, der Verantwortungsgrad, ergibt sich aus den Rollen, die ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin im Unternehmen bekleidet. Er berücksichtigt fünf Kategorien: Verantwortung für ein Team oder für Finanzen, Komplexität des Arbeitsbereichs, Mitwirkung an der strategischen Ausrichtung und persönliches Haftungsrisiko. In jeder Kategorie gibt es drei Verantwortungslevel von grundlegender über hohe bis hin zu höchstmöglicher Verantwortung.
Der jährliche Gehaltsprozess
Jedes Jahr überprüft der Gehaltsrat – nicht die Geschäftsführung – die Höhe der Gehälter. Er besteht aus vier gewählten Teammitgliedern, ist paritätisch besetzt und soll eine Vielfalt abbilden aus unterschiedlichen Altersgruppen, Familienständen und Dauer der Betriebszugehörigkeit. Die Überprüfung erfolgt in sechs Schritten:
- Stimmungsbarometer
Alle Mitarbeitenden, derzeit 16, können auf einem Onlineboard aktuelle individuelle Herausforderungen formulieren. - Herausforderungen im Team bearbeiten
Über die gesammelten Herausforderungen diskutieren alle, die daran Interesse haben. Sie erarbeiten konsensorientiert Lösungen. - Individuelle Gehaltsprüfung
Vor der jährlichen Gehaltsprüfung muss das Rollenmodell im Gesamtteam aktualisiert werden. Dazu werden neue Rollen bezüglich des Verantwortungsgrades definiert und die persönlichen Rollenprofile überprüft. Jedes Teammitglied gibt eine Selbstauskunft zu seinen Hard Facts. - Tagung des Gehaltsrats
Der Gehaltsrat tagt, um die Auskünfte zu prüfen und alle Mitarbeitenden einzustufen. Dabei checkt er, inwieweit sich Gehaltspositionen verändern. - Finanzcafé
Im Finanzcafé gibt der Finanzadministrator ein Update über die finanzielle Lage von Goldeimer, die Investitionsschwerpunkte des Unternehmens und den Anteil der Personalinvestitionen. Zudem werden Änderungen am Gehaltsmodell besprochen. Mit dem Café schafft das Unternehmen einen Raum, in dem die Teammitglieder vertraulich über Gehalt sprechen können. - Individuelle Gehaltsgespräche
Am Ende der Gehaltseinstufung gibt es ein Gehaltsgespräch mit jedem Talent, um zu schauen, ob es mit seiner Einstufung einverstanden ist und warum es möglicherweise Abweichungen gibt.
Gehaltsmodell ist nicht starr
Wente ist sich bewusst, dass der Prozess lange gedauert hat. Doch aus ihrer Sicht hat sich das gelohnt: „Wir glauben: Mit einem fairen und transparenten Gehaltsmodell werden wir auf dem Arbeitsmarkt als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen.“ Zudem beuge es möglicher Unzufriedenheit in der Belegschaft vor.
Ihr Fazit: „Es lohnt sich für jedes Unternehmen, ein faires und transparentes Gehaltsmodell unter Mitwirkung aller Mitarbeitenden zu entwickeln.“ Doch sie warnt: „Bitte kopiert es nicht 1:1. Das Modell ist dafür zu individuell.“ Außerdem muss es stetig entwickelt werden, und es wird nie perfekt sein: „Das Schöne ist: Wir wissen, dass es nicht in Stein gemeißelt ist und wir einmal im Jahr draufschauen und es weiterentwickeln können.“
Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Seite unserer Schwesterpublikation F.A.Z.-Personaljournal.
Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersvorsorge. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das Magazin "Comp & Ben". Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.