Um gestärkt im neuen Jahr nach vorne zu schauen, kann es sich für Personalerinnen und Personaler lohnen, 2022 Revue passieren zu lassen. Wir fassen die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen der HR-Szene zusammen, sodass Sie das bald endende Jahr gut verarbeiten können.
Gesellschaftliche Entwicklungen und Krisen
Die Corona-Pandemie hat auch 2022 beeinflusst, wie wir zusammenarbeiten. Galten zu Beginn des Jahres noch Pflichten zur Isolation, zum Anbieten von Schnelltests und der Arbeit aus dem Homeoffice, wurden die Sonderregelungen im Laufe des Jahres aufgehoben. Davor sorgte allerdings die einrichtungsbezogene Impfpflicht für hitzige Debatten im Gesundheits- und Pflegewesen sowie der Politik.
Doch das Bundesverfassungsgericht blieb hart: Der Schutz der vulnerablen Gruppen sei wichtiger als mögliche Kündigungen von Fachkräften im Gesundheitswesen, die sich nicht gegen das Corona-Virus impfen lassen wollen, und als der organisatorische Mehraufwand für die bereits unterbesetzten Gesundheitsbehörden.
Ukraine-Geflüchtete integrieren und Mitarbeitende mit Sonderzahlungen unterstützen
Zu den Herausforderungen der Corona-Pandemie gesellte sich für viele überraschend der Ukraine-Krieg. Als Russland sein Nachbarland im Frühjahr angriff, galt es für Unternehmen in Deutschland nicht nur, ihre Mitarbeitenden vor Ort in Sicherheit zu bringen. Viele Organisationen in der Bundesrepublik wurden aktiv und fanden mittels Fast-Track-Recruiting und wohltätigen Hilfsaktionen Wege, um Geflüchteten aus der Ukraine schnellstmöglich Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu gewähren. Zwei solcher Projekte zeichneten wir als Medium mit dem Deutschen Personalwirtschaftspreis in der Kategorie „Gamechanger des Jahres“ aus: die Initiative #WeAreAllUkrainians und die Jobplattform jobaidukraine.com.
Der Krieg brachte Sanktionen mit sich, durch die Deutschland und zahlreiche andere EU-Länder Sorge um einen Energienotstand hatten. Die Energiepreise erhöhten sich teilweise um das Dreifache, und die Bundesregierung versuchte, den Bürgerinnen und Bürgern mit einer Energiepreispauschale zur Hilfe zu kommen. Die Prämie wurde über die Arbeitgeber ausgezahlt.
Nicht nur – aber auch – angetrieben vom Krieg stieg die Inflation. Auch hier reagierten die Politikerinnen und Politiker, indem sie Arbeitgebern die Möglichkeit gaben, Beschäftigten steuerfrei eine Sonderzahlung von bis zu 3.000 Euro zu zahlen. Einige, aber nicht alle Unternehmen, nutzen die verbesserten Bedingungen, um ihren Mitarbeitenden zu helfen. Wer es sich leisten konnte, ließ auch die Löhne steigen. Das war aber nicht jedem Arbeitgeber möglich – schließlich hat die Inflation einige Unternehmen zu Sparmaßnahmen gezwungen und einige sogar in die Insolvenz getrieben
HRs größte Herausforderung: der Fachkräftemangel
Doch für HR waren diese Entwicklungen – so schlimm sie auch sein mögen – größtenteils nur Nebenschauplatz-Probleme. Im Zentrum stand 2022 stattdessen der Fachkräftemangel, der in diesem Jahr neue Ausmaße angenommen hat. In kaum einer Branche haben Personalerinnen und Personaler mittlerweile keine Probleme mehr, Fachkräfte zu finden. War es vor Kurzem noch vor allem schwer, IT-Fachkräfte zu gewinnen, kämpften Recruiterinnen und Recruiter im Sommer vor allem in der Gastronomie und an Flughäfen um dringend benötigtes Personal. Und auch innerhalb der HR-Branche ist es schwer geworden, geeignete Fachkräfte zu finden.
Dadurch schien auch die letzte Politikerin und der letzte Personaler aufgewacht zu sein und erkannt zu haben, dass der Fachkräftemangel eine der – wenn nicht sogar die – Hauptbedrohung für die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren ist. Lösungen, um den Mangel zu verringern, wurden in diesem Jahr durchgehend diskutiert. Neue Regelungen und Anreize für Zuwanderung, Weiterbildung und die verstärkte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt solle es geben. Möglicherweise könne durch eine bessere Digitalisierung menschliches Personal teilweise ersetzt werden, sagt Jutta Rump, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung. Als weiterer Ansatz wird vorgeschlagen, Beschäftigte länger pro Woche arbeiten zu lassen und Menschen dazu zu motivieren, auch im höheren Alter noch beruflich tätig zu sein.
HR-Professionals versuchten verstärkt, neue Ansätze der innerbetrieblichen Weiterbildung zu kreieren. Als Arbeitgeber wollten sie sich durch eine höhere Flexibilität (teilweise auch mit einer Vier-Tage-Woche) und einem klaren Purpose – vielerorts mit Nachhaltigkeitsbezug – von anderen Unternehmen positiv absetzen. Schlanke und schnelle Bewerbungsprozesse und der Aufbau eines Talent Pools sollen ebenfalls dabei helfen, ihr Unternehmen bestmöglich vor den Auswirkungen des Fachkräftemangels zu schützen. Das war und ist alles andere als leicht! Vor allem da Beschäftigte wohl wie selten zuvor spüren, dass sie am längeren Hebel sitzen und sich ihren Arbeitgeber in vielen Fällen aussuchen können. Begriffe wie „Quiet Quitting“ und „Great Resignation“ haben 2022 dabei die Anspannung von Recruiterinnen und Recruitern noch einmal erhöht.
Neues im Arbeitsrecht
Das Arbeitsrecht hat im endenden Jahr wohl auch die Aufmerksamkeit von Personalerinnen und Personalern auf sich gezogen, die sonst nicht unbedingt Interesse an Gesetzen haben. Sehr überraschend waren ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und eine Gesetzesänderung. Im September wies das BAG darauf hin, dass in allen Unternehmen in Deutschland die Arbeitszeit erfasst werden muss. Zwei Monate zuvor entschied der Bundestag mit der Einführung des Nachweisgesetzes unter anderem, dass Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, wesentliche Bedingungen des Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmern schriftlich mitzuteilen – eine elektronische Form sei nicht ausreichend.
Beide Änderungen lösten hitzige Debatten in der HR-Szene aus. Wie auch ein Gesetz, auf das sehr viele Menschen in Deutschland zu warten scheinen, das aber wahrscheinlich auch im nächsten Jahr nicht kommen wird: der Vaterschaftsurlaub. Jüngst teilte die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) mit, dass die zweiwöchige Freistellung nach der Geburt eines Kindes für den zweiten Elternteil erst 2024 realisiert werden soll.
Weiterentwicklung der Unternehmenskultur und Führung
Bei all den Debatten und Veränderungen schien die Arbeit an der Unternehmenskultur und einer modernen Führung im Hintergrund zu laufen, aber dennoch in zahlreichen Organisationen voranzuschreiten. Vor Ort stellten sich Personalerinnen und Personaler unter anderem weiterhin die Fragen: Wie flexibel sollen die Mitarbeitenden bei uns arbeiten können? Wie agil sind wir als Unternehmen und wie viel Verantwortung bekommen die einzelnen Beschäftigten? Sind wir divers und nachhaltig genug? Wie soll bei uns Führung gelebt werden und inwieweit wollen wir bestehende Hierarchien auflösen und mehr auf Augenhöhe arbeiten? Wie moderne Führung nicht aussieht, zeigte besonders Elon Musk in diesem Jahr, indem er bei Twitter massenweise Kündigungen per E-Mail verschickte und die bestehenden Mitarbeitenden dazu zwang, im Büro zu arbeiten.
2022 war für HR ein Jahr der Herausforderungen und der unerwarteten Ereignisse. Gleichzeitig bot es vielen Personalerinnen und Personalern Möglichkeiten, das Wirtschaften in ihrem Unternehmen in einer Form mitzugestalten wie selten zuvor – und so gute Personalarbeit zu einem Must-have in Organisationen zu machen.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.